Fast täglich hört man von andauernder Gewalt im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Folgt man der Berichterstattung, so scheint sich das Schema von palästinensischem Terror und israelischer Gegengewalt unaufhörlich zu wiederholen. Als politisch interessierter Bürger und kritischer Medienkonsument entschloss ich mich, mir durch eine Reise zu den Zentren des Konflikts selbst ein Bild zu machen. So ergriff ich die Gelegenheit an einer von der "Österreichischen Palästina-Solidarität", einer Plattform verschiedener Menschenrechtsaktivisten, angebotenen Delegation gemeinsam mit Italienern, Deutschen und Amerikanern teilzunehmen, die schließlich Anfang des Jahres Gaza und das Westjordanland besuchte. Wohl wissend, dass es sich dabei um keine neutrale Beobachtermission handelte, so dachte ich dennoch nicht, dass das schlichte Erlebnis einer einzigen Woche Besatzungsrealität das von den Medien geprägte Bild völlig auf den Kopf stellen könnte. Im Grunde reichten für einen tieferen Einblick bereits wenige Stunden in Hebron, der Stadt, in der das Grab des von Juden, Christen und Moslems gleichermaßen verehrten Patriarchen Abraham liegt. Dort versuchen einige wenige Hundert radikale Siedler das Zentrum der rund 150.000 arabische Einwohner zählenden Stadt in einem Kampf Haus um Haus zu erobern. Erwartet man sich allerdings tiefreligiöse Eiferer, so wird man sogleich durch die mit Sturmgewehr, Splitterweste und Funkgerät ausgerüsteten jugendlichen Rambos, die in den gespenstisch leeren Straßen patrouillieren, eines besseren belehrt. Zotteliges langes Haar, verspiegelte Brillen, ausgewaschene Jeans - man vermeint, ungewollt in einen amerikanischen Action-Thriller geraten zu sein, und tatsächlich stammen die meisten der Siedler aus den USA. Ausnahmslos alle arabischen Geschäfte, die wir unter ständiger Aufsicht der Armee passieren durften, waren mit einem Davidstern besprayt, der häufig durch die hebräische Aufschrift "Tod den Arabern" oder "Araber raus" ergänzt wurde. Auf die Frage, warum er denn diese Schmiererei nicht übermalen würde, meinte ein verstörter Ladenbesitzer, dass diese sofort wieder erneuert würden und man sich überdies Repressalien durch die Armee aussetze, die eine Übermalung als Schändung religiöser Symbole auslege. Wäre es für die hiesigen Medien nicht angezeigt auch von dieser Realität der Besatzung zu berichten, um den Lesern, Zuhörern und Zusehern die notwendigen Einblicke zum Verständnis der Ursachen des Konflikts zu geben? Für mich jedenfalls hat sich die palästinensische Gewalt eindeutig als Reaktion auf das anhaltende Unrecht der israelischen Besatzung dargestellt, das ein ganzes Volk in eine für uns privilegierte Europäer schier unvorstellbare Lebenslage zwingt. Erwähnt sei hier nur die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Errichtung neuer israelischer Siedlungen auf palästinensischem Boden, der Enteignung und Zerstörung palästinensischer Häuser, der Bau von dem Militär und Siedlern vorbehaltenen Straßen, die Entwurzelung von Bäumen und die vorsätzliche Vernichtung agrarischer Flächen sowie die höchst ungerechte Aufteilung der mehr als knappen Wasserressourcen. Die Parteilichkeit des Westens und vor allem der Vereinigten Staaten lässt die Lage für die Palästinenser hoffnungslos erscheinen und ist der Boden, auf dem Verzweifelungstaten gedeihen. Wirklich zu denken gab mir schließlich meine Ratlosigkeit angesichts einer alter Frau in Gaza, die erst wenige Stunden zuvor ihr ganzes Hab und Gut unter den Planierraupen der israelischen Armee verschwinden sehen musste. Sie fragte: "Und was tut Europa?" Mir bleibt nur, diese Frage als Appell an den demokratischen Journalismus weiterzuleiten ... (DER STANDARD,Printausgabe,9./10.2.2002)