Als Wirtschaftsprüfer ziemt es sich nicht, die Arbeit der Kollegen von Arthur Andersen an den Bilanzen von Enron in den letzten Jahren infrage zu stellen. Schweigen ist angesagt, schon aus purem Selbstschutz. Nachdenken kann aber nicht verboten sein. Die Aussage, bei der Enron-Pleite handle es sich nur um einen "Einzelfall", die Verquickung von Prüfungs- und Beratungsgeschäft in Österreich sei untersagt, und wer sich nicht daran hält, "verliert die Konzession" (Klaus Hübner, Kammerpräsident der Wirtschaftstreuhänder, STANDARD vom 26. 1.), stimmt nicht. Zum einen: Ich erinnere an die "Einzelfälle" Funder, die Contibank, die ATS Bank, die Bank für Handel und Industrie, die Konsumpleite und das Desaster der Bank Burgenland; der Sonderprüfungsbericht zum Zusammenbruch von Libro spricht ebenfalls Bände. Zum zweiten: Wirtschaftsprüfern ist es untersagt, an der Erstellung der Jahresabschlüsse mitzuwirken, die sie im Nachhinein zu prüfen haben, es ist ihnen aber nicht untersagt, dem Klienten, für den sie ein Prüfungsmandat erledigen, auch wirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und steuerliche Beratung anzubieten. Niemand verliert deswegen seine Konzession, schon allein deswegen nicht, weil das Disziplinarrecht der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater seit 1. 7. 1999 die Strafe des Befugnisentzugs gar nicht mehr kennt. Schwieriger "Spagat" Wirtschaftsprüfer sind, wie andere Beratungsdienstleister auch, von ihrem Auftraggeber abhängig. Die Abhängigkeit wird umso stärker, je größer der Honoraranteil aufgrund der Wirtschaftsprüfung ist und je prominenter der Auftraggeber. Dass es dabei fallweise zu Meinungsdivergenzen über Bewertungen, Cashflow-Relevanz oder Eigenkapital kommen kann, ist nahe liegend. Bevor der Wirtschaftsprüfer aber in solchen Fällen sein Mandat niederlegt, versucht er den "Spagat", seine persönliche Prüfungsansicht mit der Ansicht der Geschäftsführung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen - um sein Mandat nicht zu verlieren: Man nützt sämtliche Bewertungsspielräume und hütet Erklärungen des Vorstands zur Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben wie den sprichwörtlichen Augapfel. In vielen Fällen arbeiten wir mit vorab unter Druck vereinbarten Pauschalhonoraren, die die Lust an intensiven Prüfungen auch nicht gerade verstärken, und nicht immer entspricht die Ausbildung der Revisionsassistenten - sie sind ja oft "Frischlinge", die direkt von der Universität in die Praxis springen und meist Schwierigkeiten haben, dem Stress der Prüfungshandlungen standzuhalten - dem nach außen zur Schau gestellten Qualitätsanspruch. Natürlich wollen wir Wirtschaftsprüfer uns nicht dazu hergeben, Unterschlagungen, Betrügereien oder sonstige kriminelle Handlungen in Unternehmen aufdecken zu müssen. Andererseits ist die Beschränkung unserer Tätigkeit auf die richtige Bewertung von Jahresabschlüssen, deren Vollständigkeit und richtige Gliederung nebst Überprüfung der Gesetzestreue des Vorstands halt doch eine Einengung, die einer auf unsere Befunde zählenden Öffentlichkeit zunehmend schwerer verständlich zu machen ist. Trotzdem: Wir prüfen den Jahresabschluss und nicht das Unternehmen. Das jüngst ergangene OGH-Urteil über die Ausweitung der Haftung der Wirtschaftsprüfer gegenüber Dritten, zum Beispiel Anlegern, verschärft die Situation drastisch: Die bloße Anhebung von Versicherungssummen entspricht einer Dauermedikation gegen Kopfschmerzen bei Vorliegen einer Gehirnhautentzündung. Prüfung objektivieren Ein Gegenvorschlag: Die grundsätzlich problematische Honorarabhängigkeit könnte dadurch beseitigt werden, dass alle prüfungspflichtigen Gesellschaften in einen von der Börsenaufsicht oder von einer neu zu schaffenden Kontrollstelle geführten Fonds einen jährlichen Prüfungsbeitrag, abhängig von der jeweiligen Bilanzsumme, einzahlen. Die Wirtschaftsprüfungen werden dann ohne Zutun der zu prüfenden Unternehmen aus einem Kreis qualifizierter Kollegen durch einen Zufallsgenerator für eine bestimmte Anzahl von Jahren ermittelt. Dieser Kontrollstelle hätten die Prüfer dann ihren Arbeitsplan sowie ihre personelle und technische Ausstattung nachzuweisen; zugleich würden sie aus dem von den prüfungspflichtigen Gesellschaften gespeisten Fonds zentral honoriert - eine Methode, durch die im Übrigen auch das Problem der Rotation von Wirtschaftsprüfern, wie sie die Europäische Kommission vorschreibt, lösbar wäre. Natürlich schützen auch und gerade die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die "Big Five", Arthur Andersen, Deloitte & Touche, Ernst and Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers, ihre Prüfungsmandate eifersüchtig, weil darauf ihre gesamte Tätigkeit basiert: Das Angebot an Dienstleistungen reicht von betriebswirtschaftlicher Beratung über steuerliche und EDV-Beratung bis hin zum Lobbying für Steuergestaltungen in den Ministerien, und in der Regel ist damit natürlich wesentlich mehr Geschäft zu machen als mit der reinen Wirtschaftsprüfung. Bereiche trennen Diese Situation ist tatsächlich zu überdenken, weil die finanzielle Abhängigkeit jedes Gespräch über eine neutrale unabhängige Prüfung überlagern wird. Nach einem Bericht der International Herald Tribune hat die KPMG dem Elektronikriesen Motorola 3,9 Millionen. Dollar für die Wirtschaftsprüfung und 62,3 Mio. Dollar für andere Beratungsdienste verrechnet, und die Telefongesellschaft AT & T honorierte PricewaterhouseCoopers im Verhältnis 7,9 Mio. (Prüfung) zu 48,4, Mio. Dollar (Beratung). Das soll nicht den Wert oder die Qualität der Wirtschaftsprüfung infrage stellen, aber doch zeigen, wo die Honorarwertigkeiten wirklich liegen. Eine Trennung der Wirtschaftsprüfung von den Beratungsleistungen für den gleichen Mandanten, seien sie direkt erbracht oder indirekt, erscheint daher geboten. Ob dies den global agierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gefällt, ist nicht maßgebend. Entscheidend ist viel mehr, ob sich die Öffentlichkeit, an die sich die Wirtschaftsprüfungsberichte auch richten, die aktiven und pensionierten Arbeitnehmer, die Banken, die Gläubiger und deren Schutzverbände einen "true and fair view" über die Arbeit der Wirtschaftsprüfer verschaffen können und damit in jenen Stand versetzt werden, den wir Wirtschaftsprüfer am Ende eines Prüfungsverfahrens dem Jahresabschluss attestieren. (DER STANDARD, Printausgabe 12.2.2002)