Seit nun schon fünfundzwanzig Jahren sind Pierre & Gilles ein Paar: Im KunstHausWien zeigen die beiden neue Gegenentwürfe zur Mickerigkeit des Alltags. Eine Ausstellung zum Mögen oder Nichtliebhaben.
von Markus Mittringer
Foto: Archiv
Pierre et Gilles, Nina Hagen, 1993
Wien - Paris an einem Abend im Herbst. Glam-Rock liegt in der Luft. Kenzo eröffnet seine Boutique. Pierre, der Fotograf, trifft dort auf Gilles, den Maler. Es ist wunderschön. Es knistert. Schlägt Funken. Es ist die Liebe. Von nun ab teilen Pierre und Gilles die Lust, das Leid, die Arbeit und die Wohnung. Pierre & Gilles fotografieren Andy Warhol und Salvador Dali und Mick Jagger und Yves Saint Laurent und Iggy Pop. Pierre & Gilles bereisen gemeinsam Indien. Pierre & Gilles arbeiten für Thierry Mugler. Pierre & Gilles arbeiten für Amanda Lear. "Unsere Schwierigkeiten, unsere Dualität führen uns zu immer neuen Abenteuern" "Wenn wir nur zusammen gelebt oder nur zusammen gearbeitet hätten, wäre es nicht möglich gewesen, das zu tun, was wir gemacht haben. "Pierre & Gilles" ist sicher nicht das idyllische Leben, das man uns zuschreibt, aber unsere Schwierigkeiten, unsere Dualität führen uns zu immer neuen Abenteuern. Das ist sicherlich die treibende Kraft unserer Kunst." Das haben Pierre & Gilles gerade eben erst, ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Funkenschlag, ganz exklusiv Jérôme Sans anvertraut.
Foto: Kunsthaus Wien
"Pierre & Gilles haben es geschafft: Tokio, Paris, New York - lauter Personalen. Und jetzt auch noch Wien. Im Kunsthaus zeigen Pierre & Gilles Arrache mon coeur - "Entreiß mein Herz", 75 Bildwerke der vergangenen drei Jahre, die letzten Seiten des "Fotoalbums unseres Lebens und unserer Freunde". Nicht an Nan Goldins Familie mit den schwarzen Augenringen denken Man darf jetzt aber nicht an Nan Goldins Familie mit den schwarzen Augenringen denken, nicht an Robin beim Frühstück, Bobby beim Masturbieren, Brian am Klo und Cookie im Sarg. Und auch nicht an das Selbstporträt mit Blessuren der traurigen Nan, die gerade von ihrem Freund verprügelt wurde. Eher schon an einen knackig barärschigen Matrosen, der gerade erhabenen Gemächts einer gefesselten Transe in einem orientalischen Puff El Grecos Heiligen Sebastian darbringt, was Arnold Böcklin dermaßen amüsiert, dass er sofort Dante Gabriel Rosetti mit der Bitte aus dem Tagräumen reißt, ob denn nicht Marc Almond eine Coverstory in The Face checken könnte. Leider aber sitzt die britische Weichzelle gerade nonstop im Erotic Cabaret, um ihre Liebe beflecken zu lassen, und so muss Böcklin dann eben Jean-Paul Gaultier drängen, die Szene mit Alice im Wunderland scharf nachzustellen. Mapplethorpsch gut gebaute Darsteller Und dort passierte es: Zu Tränen gerührt musste ein mapplethorpsch gut gebauter Darsteller just in dem Moment seinen Harn in die taufeuchte Blumenwiese abschlagen, als Pierre & Gilles vorbeikamen und sich davon ein Bild machten, um damit künftig für ihr Fotoalbum zu werben. So kamen die Liebenden aus dem Paradies in die Regenbogenpresse, und nach verflogener Erregung dann weiter in die besseren der Musentempel. Pierre & Gilles lernten Catherine Deneuve kennen und Madonna und Jeff Stryker und Lolo Ferrari. Sie bereisten die Ufer des Mekong (Au bord du Mékong) und trafen kleine Boxer aus Thailand (Les Petits Boxeurs), arbeiteten sich an hübschen Strichjungen (Jolis Voyous) weiter hoch, genossen die Freuden des Waldes (Les Plaisirs de la Forêt).
Foto: Kunsthaus Wien
Pierre et Gilles, Fred -
Frédéric Lenfant, 2000
Requisiten, erworben auf gemeinsamen Einkaufsbummeln Bei all dem gehen Pierre & Gilles immer die gleichen Schritte: Sie denken sich ein Werk aus. Dann entwerfen sie es. Dann bestimmen sie die Requisiten, erlesene Gegenstände, erworben auf gemeinsamen Einkaufsbummeln durch die ganze Welt. Weiter geht es damit, gemeinsam am Licht zu arbeiten. Für Kostüm, Maske verpflichten sie oft Topspezialisten. Und dann passiert es: Pierre alleine fotografiert, was Pierre & Gilles sich gemeinsam ausgedacht haben. Und dann überzieht Gilles allein, was Pierre fotografiert hat, mit Farbe und Firnis. Fiktion fertig! "Es wäre genial, wenn man die Fähigkeit hätte, von der Realität in die Fiktion überzugehen, in einer Wolke gelber Schmetterlinge zu erwachen, sich unter Sternenregen zu lieben, in einem Schwarm von Irrlichtern zu tanzen und in einem schützenden Kreis kleiner Skelette einzuschlafen." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.02. 2002)

"Pierre & Gilles: Arrache mon coeur"
14.2.-26.5.
Kunsthaus Wien
Untere Weißgerberstraße 13
1030 Wien
täglich 10-19 Uhr

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