Wien - Das Albumcover ohne ihre Schmolllippen muss erst erfunden werden. Dennoch: Diana Krall ist kein Fall für Blondinenwitze. Dafür spielt sie zu gut Klavier. Und singt zu überzeugend. Und dafür ist sie zu repräsentativ für die Konservativität des Jazz, der in seiner mainstreamigen Mitte zusehends von einer Musik des kreativen Augenblicks zum Fall für historisierende Interpreten mutiert.
Foto: Archiv
"The Look of Love", Verve Records 2001
Standards dezent anrauen vokalem Timbre Das Phänomen Diana Krall ist ein musikalisches und mediales. Kein Zweifel, diese Sängerin bringt es bisweilen genial auf den Punkt. Etwa, wenn sie Standards wie Let’s Fall in Love mit dezent angerautem, dennoch nicht aufgesetzt wirkendem, samtigem vokalem Timbre in ein schwungvolles und herzhaftes Stück Leben verwandelt. Cole Porter delikat und nachdenklich zerfließen lassen Oder wenn sie Cole Porters I’ve Got A Kick Out Of You delikat und nachdenklich zerfließen lässt, um im richtigen Moment in gebändigter Kraft ihre Stimme zu erheben. Natürlich: Jede ihrer Noten wie auch ihre prägnanten, strikt nonvirtuosen Piano-Einwürfe sind voll beladen mit historischen Assoziationen. Und Momente einer erstaunlichen emotionalen Unmittelbarkeit alternieren mit solchen der gepflegten Fadesse. Vincent Herring: Von schwarzer Expressivität erfüllt Zugegeben, der Vergleich ist unfair. Aber spannend. Dieser Tage gastierte Altsaxophonist Vincent Herring im Jazzland. Herring ist 37, exakt drei Tage jünger als Krall. Sie zog 1990 nach New York, er bereits 1982. Auch er sieht gut aus, er hat Charme, und wie sie bewegt er sich in einem geschlossenen historischen Aktionsfeld, erweist mit rasanten, von schwarzer Expressivität erfüllten Linien seinen Säulenheiligen Reverenz. Kleine Jazzkeller Was für ihn Cannonball Adderley und Charlie Parker bedeuten, stellen für Krall Nat King Cole und Carmen McRae dar. Die Kanadierin, die im Jazzland 1996 zum ersten Mal Wien beschallte, füllt heute große Häuser, gilt als Popstar des Jazz. Herring spielt weiterhin in kleinen Jazzkellern. Sicherlich hat dies seine Ursache auch in Kralls vokal-instrumentaler Doppelbegabung. Sicherlich ist dies auch eine Frage der Klasse. Doch das ist nur ein Teil der Erklärung. Was den Unterschied sonst noch ausmacht? James Brown würde sagen: "It’s a man’s (jazz-)world!" (felb/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.02. 2002)