Zeit
Europa: Krisen als Resultate der Geschichte
Weder Nato noch UNO sind überflüssig: Das ist einer der Schlüsse, den man aus der Lektüre des vom Verteidigungs- und Militärexperten Erich Reiter herausgegebenen Analyse-Bandes ziehen kann.Man muss einschränken: Der Buchtitel verspricht mehr, als der Inhalt hält. Nicht ganz Europa ist das Thema, sondern Osteuropa und Südosteuropa. Immerhin aber sind die publizierten Beiträge interessant genug, um mehr als nur Schlaglichter auf die Situation zu werfen.
In einem grundsätzlichen Aufsatz über den Balkan plädiert Reiter selbst für eine Sicherheitspolitik "zur Beseitigung der Konfliktursachen" und weist damit auf das bekannte Grundproblem hin: Nicht nur die Völker selbst, sondern ganz Europa wird permanent von den Tragödien der Vergangenheit eingeholt. Ob freilich Reiters Vorschlag, den Kosovo in die Unabhängigkeit zu hieven, tragfähig ist, kann man schwer beurteilen.
Äußerst aufschlussreich ist der Aufsatz von Wolf Oschlies über Serbien nach Milosevic. Auch er spricht sich darin für eine vorbeugende Politik aus - und damit für eine wichtige, aber nur schwer vermittelbare Komponente: dass Vorsorge billiger ist als Krieg führen.
Wenig in den Schlagzeilen, aber für die Zukunft Europas wichtig ist das Verhältnis Russlands zum Baltikum und zu seinen unmittelbaren Nachbarn. Die Analysen dazu lassen auf eine nicht unproblematische Zeit schließen. Die Ukraine könnte zu einem "kranken Mann Europas" werden. Andererseits hat die schrittweise Integration des Baltikums in die EU möglicherweise positive Effekte für Moskau.
Insgesamt: ein informatives Buch, das freilich die Folgen des 11. September für die russische Weltstrategie noch nicht berücksichtigen konnte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 2. 2002)