Kosovo
Milosevic will westliche Spitzenpolitiker als Zeugen laden
Ex-Staatschef nennt Clinton, Annan, Albright und Kohl als Wunschzeugen vor UNO-Tribunal
Den Haag - Für seine Verteidigung vor dem
Haager Kriegsverbrechertribunal will der ehemalige jugoslawische
Staatschef Slobodan Milosevic den früheren US-Präsidenten Bill
Clinton, UNO-Generalsekretär Kofi Annan, den deutschen
Altbundeskanzler Helmut Kohl und weitere westliche Spitzenpolitiker
als Zeugen laden. Mit Ausnahme des deutschen Bundeskanzlers Gerhard
Schröder (SPD) und des britischen Premierministers Tony Blair, mit
denen er selbst nicht gesprochen habe, wolle er "alle" zu den
Verbrechen im früheren Jugoslawien befragen, sagte Milosevic am
Freitag am zweiten Tag seiner Anklage-Erwiderung. Mit Fotos von
verstümmelten Kindern und verbrannten Leichen versuchte der ehemalige
Machthaber erneut, die NATO und die USA als Kriegstreiber
darzustellen. Neben Clinton wollte Milosevic unter anderen weiters den deutschen
Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), den früheren
Außenminister Klaus Kinkel (FDP), die ehemalige US-Außenministerin
Madeleine Albright und die Unterhändler bei den Friedensverhandlungen
von Dayton vor das Tribunal laden lassen. Er wolle alle befragen, mit
denen er persönlich gesprochen habe, sagte der Ex-Präsident. Bereits
am Donnerstag hatte er den französischen Präsidenten Jacques Chirac
als möglichen Zeugen genannt. Nach den Regeln des
UNO-Kriegsverbrechertribunals können Anklage und Verteidigung ihre
Zeugen nach Wunsch benennen. Eine Vorladung kann aber nicht erzwungen
werden.
NATO ist für Milosevic für Massenflucht im Kosovo verantwortlich
Wie am Vortag machte Milosevic die NATO für die Massenflucht
albanischer Zivilisten aus dem Kosovo im Frühjahr 1999
verantwortlich. Als Beweismaterial legte er drei Stunden lang Fotos
von zerbombten Häusern und grausam zugerichteten Leichen vor, deren
Namen und Alter er einzeln benannte. Die NATO habe vorsätzlich
Zivilisten bombardiert, sagte der 64-Jährige. Das Bündnis habe damit
Massenflucht auslösen wollen, um dann die serbischen Truppen der
Vertreibung der Albaner zu bezichtigen. Die Flucht der Albaner aus
dem Kosovo sei für die Clinton-Regierung als Rechtfertigung für ihr
Tun "strategisch wichtig" gewesen.
Der Kosovo-Krieg sei "sinnlos" und ein "Verbrechen" gewesen, sagte
der Serbe Milosevic. Die 78 Tage dauernden Luftangriffe hätten
internationales Recht verletzt und den Auszug der Albaner bewirkt. So
sei die Bombardierung eines Flüchtlingstrecks mit bis zu 600 Menschen
im Kosovo Absicht gewesen. Die Hunderttausenden von Albanern, die
1999 während des NATO-Luftkrieges gegen Jugoslawien geflohen seien,
seien nicht, wie von internationalen Medien berichtet, von Serben
vertrieben worden, sondern von ihren eigenen Landsleuten. Die UCK
habe die "Illusion eines Exodus" geschaffen. An der Grenze hätten
bereits Hunderte von Kameraleuten darauf gewartet, die angeblichen
serbischen Missetaten zu dokumentieren.
NATO habe Zivilisten bewusst getötet
Der NATO warf Milosevic vor, bei den Luftangriffen gegen
Jugoslawien bewusst Zivilisten getötet zu haben. Auch der Angriff auf
die chinesische Botschaft in Belgrad sei kein Zufall gewesen. Clinton
habe als der erste "Mensch, der chinesisches Gebiet bombardiert" in
die Geschichte eingehen wollen. Die NATO hatte bei beiden Angriffen
einen Irrtum eingeräumt. Milosevic hat noch bis Montagmittag Zeit, zu
den Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen. Anschließend beginnt das
Gericht mit der Zeugenbefragung.
Milosevic hatte bereits am Donnerstag in einer vierstündigen
Verteidigungsrede den Kriegsverbrecherprozess gegen sich als
Schandtat gegen eine ganze Nation kritisiert. Den NATO-Luftkrieg
gegen Jugoslawien 1999 bewertete er als Kriegsverbrechen. Gegen ihn
würden hingegen nur "Lügen" aufgetischt, sagte Milosevic, der sich
selbst verteidigt. Die Wahrheit finde sich "nur als Atom, weniger als
ein Atom in dem Ozean von Lügen". Milosevic griff wie bereits am
Vortag die anwesenden Ankläger persönlich an.
Der Prozess gegen Milosevic hatte am Dienstag begonnen. Das
Tribunal wirft dem früheren Staatschef vor, während der Kriege in
Kroatien (1991-1995), Bosnien (1992-1995) und Kosovo (1998-1999)
Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
begangen zu haben. Das Verfahren wird nach Einschätzung der
Chefanklägerin Carla Del Ponte etwa zwei Jahre dauern. Milosevic
droht lebenslange Haft. Die serbische Regierung hatte das ehemalige
Staatsoberhaupt im Juni vergangenen Jahres ausgeliefert. Milosevic
bezeichnet das vom UNO-Sicherheitsrat gegründete Tribunal als illegal
und verzichtet auf einen Rechtsbeistand.(APA/dpa/Reuters)