Die Verteidigungsstrategie von Slobodan Milosevic vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal war vorauszusehen: Der ehemalige jugoslawische Präsident stellt das Verfahren als Schauprozess gegen das ganze serbische Volk dar. Mit dem populistischen Instinkt, über den er immer noch verfügt, ist ihm damit ein starker Solidarisierungseffekt zumindest bei einem Teil "seines" Volkes gelungen. Ob die Polarisierung der serbischen Öffentlichkeit wirklich gefährliche Formen annimmt, wird vom weiteren Verlauf des Prozesses abhängen.

Milosevic macht als Angeklagter dasselbe, das er als Kriegsherr auf dem Balkan tat: Er nimmt eine ganze Nation als Geisel. Damit unterläuft er die Absicht des serbischen Premiers Zoran Djindjic, der die Auslieferung von Milosevic gegen den Widerstand von dessen Nachfolger Vojislav Kostunica durchsetzte.

Das Kalkül des Pragmatikers Djindjic: Mit der Auslieferung von Milosevic und anderer vor dem Tribunal angeklagter Bürger Jugoslawiens (der amtierende serbische Präsident Milan Milutinovic könnte demnächst folgen) ist die Sache für Belgrad erledigt und das Land als solches aus dem Schneider; der Rest läuft nur noch zwischen Anklägern und Beschuldigten - wie ja auch die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte betont, dass nicht "die Serben", sondern Individuen vor Gericht stünden.

Die innerserbischen Reaktionen auf Milosevic' Verteidigungslinie zeigen indes, dass die Rechnung des Djindjic-Lagers nicht so einfach aufgehen wird. Ob sie sich nun als Geiseln des Angeklagten im Haag sehen oder nicht: Eine eigene Auseinandersetzung mit dem Geschehenen wird den Serben nicht erspart bleiben. Cedomir Jovanovic, ein Spitzenvertreter der gegenwärtigen Belgrader Führung, formuliert es so: "Milosevic hat das Konzept entworfen, das zu der Tragödie führte. Als Gesellschaft tragen aber wir alle die Verantwortung, weil wir nicht rechtzeitig erkannt haben, wohin seine Politik uns führt."

(DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.2.2002)