Boris Marte Georg Pammer

Wie ein Karnickel vor der Schlange sitzen heute die Bürgerlichen vor dem scheinbar unaufhaltsamen Zuwachs der Haider-FPÖ, und seit Vorarlberg stellen sich die Nackenhaare noch etwas höher in den rauhen Wind.

Ein Ruck, der durch das zivildemokratische Publikum gehen sollte, erst recht nach der Festlegung von Wolfgang Schüssel, ist nur verdruckt wahrnehmbar. Haben wir alle die Krot schon geschluckt?

Flucht aus der Verantwortung?

Salonwendehälse suchen bereits ihre verstaubten Gewinde auf dem Dachboden einer ins wanken geratenen ÖVP. Österreich bereitet sich auf ein Erdbeben vor.

Zu viele sehen eine Aussichtslosigkeit der Situation und die, die noch den letzten Kommentar aus ihrer Feder saugen flüchten ins hellblau-grüne demokratische Off und nehmen sich damit auch bewusst und gänzlich aus dem Spiel, aus ihrer Verantwortung.

Eine demokratisch aufgeklärte breite Alternative, die dem immer stärker zum Ausdruck kommenden Anliegen der Wähler nach Wechsel entsprechen würde, entsteht dadurch nicht!

Im Gegenteil: So wird das in bereits viele Verlängerungen gegangene Match zwischen Machterhalt und Protestverhalten zu Gunsten des Protests verschoben. Die Medien sind dabei - Karl-Markus Gauß beobachtet das richtig (STANDARD vom 29. September) - vom Faschisten Haider zum faszinierenden Haider zu schwenken, statt Sonja jetzt Tränentreibendes über Claudia im Vierfärber.

Konstant bleiben die Medien lediglich in der kaum verhüllten Befriedigung, dass es der Österreichischen Volkspartei nun an den Kragen gehen soll.

Aber: Die tatsächlich notwendige Alternative - egal in welcher Farbenmischung - wird es ohne eine neue breite ÖVP nicht geben, will Österreich nicht schon wieder zu einer europäischen Einzigartigkeit verdammt sein, nämlich zu jenem Land, das die Erfahrung des politischen Wechsels verlernt hat.

Was aber auch nicht klar wird, ist der zusätzlich europäisch singuläre Sachverhalt, dass die politische Vertretung des bürgerlichen Lagers praktisch zur Bedeutungslosigkeit zu schwinden droht. Also die Vertretung der tatsächlich "Fleißigen und Anständigen" und nicht der findigen Bargeldtankwarte, Großbetrüger, Arbeitsunfähigkeitspensionisten, Fast-Pleitiers und Abfahrtsläufer.

Wenn die ÖVP am 3. Oktober auf den dritten Platz fiele, haben wirtschaftliche Vernunft, gesellschaftspolitischer Common Sense (Hausverstand) und rechtsstaatlich orientierte Liberale keine relevante politische Vertretung mehr - etwas, das es in keinem europäischen Land in dieser Form gibt. Die soziale Mitte würde ihre Stimme aus der rechten Ecke erhalten.

Haider ein Vertreter des Bürgertums?

Wäre Österreich der Politik Jörg Haiders (und übrigens auch Heinz Fischers) gefolgt, stünde es außerhalb der EU - ärmer und aus dem Friedensprojekt Europas ausgeschlossen. Würde Österreich Hilmar Kabas folgen (gegen den Karl Schlögl kein Leiberl hat), gäbe es Elemente einer unmenschlichen Diskriminierung gegen die (noch) Fremden im Land, wieder - von der Moral ganz zu schweigen - auch um den Preis von Wohlstandsverlusten. Wollte Österreich den jeweiligen Windungen der Haiderschen Wirtschafts- und Sozialpolitik folgen, dann würden an ungeraden Tagen die Eltern einen Scheck erhalten, um an geraden Tagen für das zweite Kind die Hälfte wieder zurückzahlen zu müssen.

Die Haider-FPÖ vertritt also nicht das Bürgertum, sondern macht sich bei bedarf mit jeder Form des rabiaten Ressentiments gemein, koste es was es wolle.

Grundsätzlich bleibt sie substanzlos-opportunistisch - sie ist damit zum idealen Sprachrohr für alle mit den "Verletzungen" geworden, die so mancher in seinem Leben erlebt hat.

Was heilt sie aber, wenn der soziale Zusammenhalt, die gesellschaftliche Kohäsion, zu den Existenzbedingungen moderner Demokratien gehört?

Keine andere Wahl

In Summe steht die Haider FPÖ aber an der Spitze eines Wendegefühls, dessen Besetzung andere leichtfertig verspielt haben. Allen, die sich einer liberalen bürgerlichen Gesellschaft - auch unter realistischer Akzeptanz nie gänzlich auflösbarer Interessenskonflikte - verbunden fühlen, die die Unterschiedlichkeit der Individuen, auch die unterschiedliche Leistungsbereitschaft und daher die ökonomische Vielfalt akzeptieren, die Sicherheit und friedlich Entwicklung in maximaler europäisch-atlantischer Verbundenheit wollen, die die Entwicklung von Gesellschaft und Kultur einigermaßen gelassen und offen - nicht mit Aggressivität und Wurschtigkeit - verfolgen, bleibt nur, dieses Mal die ÖVP zu wählen: Gern oder ungern, mit Ärger über denjenigen oder diejenige, mit Naserümpfen über so manchen Inhalt, mit einem Augenzwinkern über Chic und Stil.

Wie auch immer, sonst könnte es am 4. Oktober keine Vertretung des Bürgertums, und damit dem größten Teil der gesellschaftliche Mitte, geben.
Boris Marte und Georg Pammer sind Gründer der "Plattform für Offene Politik" in der Österreichischen Volkspartei.