"Mary Dempsey: Wildfremde unterhalten sich plötzlich über ein Buch - ist das nicht eine wundervolle Vorstellung?" |
Literatur
Beim Lesen kommen d' Leit zsamm?
Chicago startete ein ungewöhnliches Projekt: Eine Stadt - ein Buch, d.h. alle lesen das gleiche
Chicago - Chicago ist bekannt für seine Architektur und
seine Musik, auch für Al Capone. Vielleicht macht die Stadt aber bald
wegen ihrer Literaturbesessenheit von sich reden, wofür ein
ungewöhnliches Leseprojekt der Grund sein könnte. In Chicago sind
nämlich alle Bewohner dazu aufgerufen worden, zur gleichen Zeit das
gleiche Buch zu lesen.
"Die Nacht" von Elie Wiesel
Gut möglich, dass in den kommenden Wochen
Menschen in U-Bahnen, Bürotürmen und auf Parkbänken den Holocaust-
Roman "Die Nacht" von Elie Wiesel in den Händen halten. Mitte April
laden dann Buchläden und Bibliotheken dazu ein, die Lektüreindrücke
in etlichen Diskussionsrunden auszutauschen. Dazu werden Tausende
erwartet.
Menschen über die Literatur zusammen bringen
"Wir wollen künftig zwei Mal im Jahr ein Buch für die ganze Stadt
vorschlagen", sagt Mary Dempsey, Beauftragte der Stadtbibliothek für
die Aktion "Ein Buch, ein Chicago". Die Idee dabei ist so einfach wie
ambitiös. "Wir wollen Menschen über die Literatur zusammen bringen",
meint Dempsey, "Wildfremde unterhalten sich plötzlich über ein Buch -
ist das nicht eine wundervolle Vorstellung?".
Mehrere zehntausend Menschen folgten des Leseaufruf
Und tatsächlich - die Bewohner von Chicago scheinen ebenso
lesefreudig wie gesprächsbereit. Schon die erste Leserunde im
vergangenen Herbst sorgte für einen Ansturm auf die Bücherregale.
Harper Lees Klassiker "Wer die Nachtigall stört", ein mit dem
Pulitzer-Preis ausgezeichneter Roman über Rassismus in den 30er
Jahren, gehörte wochenlang zu den Bestsellern der städtischen
Buchläden. Margot Burke, Sprecherin für "Ein Chicago, ein Buch"
schätzt, dass "mehrere zehntausend Menschen" dem Leseaufruf folgten.
"Ein überwältigender Erfolg für uns", meint sie.
Idee aus Seattle
Die Idee entstand an der Westküste der USA. 1998 rief Seattle
seine Einwohner erstmals dazu auf, das gleiche Buch zu lesen. Seither
haben eine ganze Reihe amerikanischer Städte die Idee übernommen. Im Abschlussbericht den die Stadt ins Netz gestellt hat, sind sogar die Projektkosten aufgelistet: Der Leseherbst kostete die Stadt etwa 37.000 Dollar (42.563
Euro/585.679 S). Margot Burks lacht: "Nicht viel, um die Bewohner
einer ganzen Stadt einander näher zusammenzubringen, nicht wahr?" (APA/dpa)