Wien - "Damals", sagt Frau G. (voller Name der Red. bekannt), "bin ich untergegangen in der Klasse." Die Geografielehrerin denkt im STANDARD-Gespräch mit Schaudern an den Sommer zurück. "Ich habe es nicht mehr geschafft." In jener zweiten Gymnasiumklasse, in der die Schüler so frech waren und "ich keine Disziplin herstellen konnte" (Frau G.). Irgendwann sei sie nur noch frustriert gewesen, habe dann Hilfe gesucht - bei einem der spärlich vorhandenen Beratungsangebote für Lehrer.Gelandet ist Frau G. dann im Wiener Lehrerberatungszentrum (LBZ) im zweiten Bezirk. Hat bei Ingrid Haumer, der Leiterin, eine Gesprächstherapie begonnen. "Ich kann es nur empfehlen", ist Frau G. heute froh. Sie hat Methoden erlernt, die sie im Umgang mit Schülern anwenden kann, um besser mit ihnen zurechtzukommen. Ingrid Haumer war selbst Betroffene auf "der Suche nach Neuem", als sie sich 1991 entschloss, Hilfe für Lehrer anzubieten und das LBZ zu gründen. Sie schätzt, dass "die Hälfte aller Lehrer mit dem Gedanken spielt, sich beraten zu lassen". Ihrer Erfahrung nach brauchen ebenso viele Supervision - die prozessbegleitende Reflexion im Beruf mit professioneller Hilfe. Häufigstes Problem, laut Haumer, bei einem Drittel der Klienten und Klientinnen: "Wie schaffe ich die letzten Jahre im Beruf?" Das Frustrations- und Burn-out-Potenzial sei ungewöhnlich hoch, besonders zu Beginn und gegen Ende der Karriere. Viele, die unterrichten, hätten ihre vor allem in jungen Berufsjahren gepflegten Werte und Ideale aufgeben müssen. Im realen Schulsystem stünden sie dann vor unerwarteten Problemen. Auch sei der Anspruch an die Lehrer heute größer denn je, glaubt Peter Jindra vom Pädagogischen Institut (PI) der Stadt Wien: "Sie sind nicht nur Fachkräfte, die Inhalte vermitteln, sie sind auch Showmaster." Es sei heute kaum mehr möglich, Schüler 50 Minuten ruhig zu halten. Kaum Angebote Auch Jindra kann sich daher nicht beklagen über mangelnde Nachfrage von Lehrern, sich persönlich und schulisch am PI beraten zu lassen. Von den rund 14.000 AHS- und Pflichtschullehrern in Wien kommen rund vier-bis sechshundert im Jahr zur Supervision. "Wir werben dafür nicht extra", verlässt sich der Pädagoge auf Zustrom durch Mundpropaganda. Und noch mehr Beratung könne sein fünfzehnköpfiges Supervisionsteam auch nicht erbringen. Auf die Frage, ob und wo es Alternativangebote für Lehrer gebe, antwortet Jindra mit gequältem Lachen: "Es gibt kaum was." Über den schulpsychologischen Dienst bei den Landesschulräten in den Bundesländern würden Lehrer als explizite Zielgruppe nur zum Teil beraten, dort werde mehr zur Problemlösung im Dreieck Eltern - Lehrer - Schüler beigetragen. Kritik übt Jindra auch am Ausbildungssystem: "Der kommunikative/psychologische Bereich liegt im Argen." In der universitären Ausbildung würde Lehrern nur Fachwissen vermittelt. "Bloß - die müssen das dann ja auch vermitteln." Die Vermittlung sozialer Fähigkeiten sei in der Ausbildung nicht vorgesehen. Was für Jindra noch zusätzlich erschwerend hinzukommt: Die Scheu der Lehrer und Lehrerinnen, sich beraten zu lassen. "Sie wollen nicht als krank gelten." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 2. 2002)