Architektonisch ist Brüssel nicht jedermanns Geschmack. Doch wer ein wenig sucht, findet fast in allen Vierteln schöne Gebäudekomplexe. Gute Restaurants sind dafür um so leichter zu entdecken. Es muss ja nicht gerade die "Fressmeile" in der Innenstadt sein.
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Wer Brüssel kennt, weiß, dass der Begriff Bauplanung dort seit den 60er-Jahren ein Fremdwort gewesen sein muss. Anders lässt sich vor allem in der Innenstadt das Potpourri aus Mittelalter, Jugendstil, Betonklotz und Ruine nicht erklären. Doch wie jedes Potpourri hat auch das Brüsseler seinen besonderen Reiz. Einförmigkeit kann schließlich unheimlich hässlich sein - das gilt vor allem für die graugläserne Monotonie des Büroviertels um die europäischen Institutionen herum. Fast ein ganzer historischer Stadtteil musste hier in den 60er- und 70er-Jahren dem Wahn des so genannten Fortschritts weichen, der der Stadt auch ihre vielen Autoschneisen beschert hat. Einförmigkeit kann aber auch sehr schön sein: Das Herz der Stadt, die Grand' Place - auf niederländisch Grote Markt -, bildet ein überaus harmonisches gotisches Ensemble alter Kaufmanns-und Zunfthäuser.
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Bunte Bürgerhäuser Auch im Stadtteil Ixelles stehen wunderschöne Straßenzüge voll bunter Bürgerhäuser. Jugendstiljuwele sind keine Seltenheit, wie zum Beispiel das berühmte Horta-Haus des Brüsseler Paradearchitekten der vorletzten Jahrhundertwende Victor Horta. Der hatte übrigens schon früh künftigen Autoschneisen etwas entgegen gesetzt: den Gebäudeblock des Gare Central. Leider nur ist dieser Bahnhof eher grau und düster geraten. Fast so wie der neoklassizistische Pompklotz des Justizpalastes, der die königliche Prachtmeile der Rue de la Régence im Südwesten abschließt - und mit dem Horta nichts zu tun hatte. Architekturfreaks müssen in Brüssel also gezielt nach ihrem Glück suchen. Freunde guter Speisen haben es da einfacher. Die Dichte von guten und nicht allzu teuren Restaurants aus aller Herren Länder ist in der EU-Hauptstadt extrem hoch. Und es fällt besonders auf, wie geschmackvoll und innovativ die Inneneinrichtung dieser Gaumentempel oft gelungen ist. Ein ganz einfaches Beispiel: die Speisesäle der Frühstücks- und Kaffeehauskleinkette "Pain Quotidien". Typisch: eine große Holztafel, an der der Esser auch neben Wildfremden Platz nehmen kann. Und "Pain Quotidien" hat noch einen zusätzlichen Reiz für österreichische (und deutsche) Besucher: Hier ist im Straßenverkauf Brot erhältlich, das dem in der Heimat bekannten recht nahe kommt. Wer also vom Weißbrot genug hat, sollte vorbeischauen. Laden im Restaurant Diese Kombination - Restaurant und Laden - ist in Brüssel nicht ganz ungewöhnlich. Dabei ist es natürlich nicht jedermanns Geschmack, seine frischen Gnocchi in Sichtweite von Wursttheke, Wasserflaschen und Waschmittelpackerln einzunehmen. Ebenfalls nicht jedermanns Geschmack ist die "Fressmeile" um die Rue des Bouchers im Stadtzentrum. Schön anzuschauen sind hier die auf Eis dekorierten Meeresfrüchte - auch wenn sich zuweilen ein Plastikhummer in die Auslage verirrt. Die Gerichte sollen nicht einmal durchweg schlecht gekocht sein, doch im allgemeinen gilt: Hier herrscht mehr Schein als Sein. Wer wirklich guten Fisch verspeisen will, sollte sich lieber ein paar Straßen weiter zur Place Ste. Catherine begeben. Hier ist mancher Fischladen auch ein Gourmettempel für Meeresfrüchte. Tempel für Biertrinker Ein Tempel für Biertrinker ist demgegenüber die historische Schwemme "La mort subite" am Ende der edlen Einkaufsgalerie St. Hubert im Stadtzentrum. Im "Plötzlichen Tod" gibt es die typischsten belgischen Biersorten, nicht nur die mit Kirschgeschmack. An der Wand hängen die Familienporträts aus den 20er-Jahren, die der heutige Eigentümer - ein Urenkel des Kneipengründers und Bierbrauers - weiter in Ehren hält. Brüssel kennt eben doch auch Tradition. Wenn schon nicht in der Bau-, so doch in der Brauplanung. (Der Standard, Printausgabe, Jörg Wojahn)