Zeit
Neue These zu altägyptischen Darstellungen
Einzigartige Masken aus der 18. Dynastie möglicherweise nach Abdrücken lebender Modelle angefertigt
Kairo - Der Bildhauer Thutmosis aus der einstigen
Pharaonen- Residenzstadt Amarna ist Hobby-Ägyptologen vor allem wegen
seiner Büste der schönen Nofretete ein Begriff. Doch neben dem Kopf
der Gemahlin des "Ketzerpharaos" Echnaton, der heute in Berlin zu bewundern
ist, lagerten in der Werkstatt des Thutmosis noch rund 30 weitere
Büsten und Gipsköpfe, die zum Teil einen geradezu "brutalen"
Realismus aufweisen. "Ich habe jedem dieser Gesichter einen Spitznamen gegeben. Sie
heißen bei mir Beethoven, alte Frau oder Mann mit Duschhaube", verrät
der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung. Er
überraschte jetzt Archäologen in Kairo mit einer neuen These zur
Entstehung dieser in der Kunstgeschichte des alten Ägypten
einzigartigen Köpfe aus der 18. Dynastie. Wildung ist sich sicher,
dass diese lebensgroßen Gipsmasken mit den großen Nasen, Augenfalten
und wulstigen Lippen keine Kunstwerke im eigentlichen Sinne sind,
sondern aus Abdrücken von lebenden Modellen hergestellt wurden.
Das "wahre Gesicht"?
Bisher hatten nur die Mumien und einige Totenmasken aus dem Alten
Reich Hinweise darauf gegeben, wie die Menschen im alten Ägypten
tatsächlich ausgesehen haben. Die Gipsmasken aus Amarna zeigen das
"wahre Gesicht" der Ägypter zur Pharaonenzeit, das mit den perfekten
mandelförmigen Augen und aristokratischen Nasen der Königsstatuen nur
wenig gemein haben - das jedenfalls ist die Ansicht Wildungs. Selbst
Amenothep IV., der spätere Echnaton (1340-1324 v. Chr.) mit dem
langgezogenen Kinn, sieht im Vergleich zu den Gipsmasken aus der von
ihm gegründeten Residenzstadt Amarna schön aus.
Für seine Theorie führt Wildung mehrere Beweise an. "Die nicht-
königlichen Masken sind im Gegensatz zu den Büsten der Könige alle
exakt lebensgroß", sagt er. Auch seien die Köpfe der Privatleute alle
ursprünglich zweidimensional gewesen und bloß anschließend mit Gips
aufgefüllt worden. Die Köpfe der Pharaonen und Königinnen aus der
gleichen Zeit seien im Gegensatz dazu dreidimensional. "Auch sind die
so genannten Privatleute, anders als die idealisierten Königsköpfe,
alle sehr realistisch dargestellt", fügt Wildung hinzu.
Verräterische Fältchen
Seine Kollegen überzeugte bei seinem Vortrag in Kairo vor allem
ein Foto, das eine der Gipsmasken von hinten zeigt. Darauf sind an
einer Ecke, etwa in Höhe des Ohres, deutlich mehrere kleine Fältchen
im Gips zu erkennen. Wildung ist davon überzeugt, dass diese Knicke
von einem Stück Papyrus oder einem Tuch stammen. Dieses sei, so meint
er, dem lebenden Modell auf das Gesicht gelegt worden, damit der
Künstler seinen Abdruck nehmen konnte. Eine Funktion, etwa im Tempel
oder als Grabbeigabe, hatten die Gipsmasken laut Wildung nicht. Er
glaubt, Thutmosis habe diese "fast hastig" hergestellten
Gesichtsabdrücke nur "um der Kunst selbst willen" geformt.
Anders war es mit den Königsköpfen, die in Serie hergestellt
wurden. So diente die berühmte Nofretete-Büste dem Bildhauer
Thutmosis wahrscheinlich nur als Vorlage für die zahlreichen
Abbildungen der Königin, denn Nofretete war politisch sehr
einflussreich und wurde häufiger als frühere Königinnen des alten
Ägypten zusammen mit ihrem Mann abgebildet. "Auf manchen Reliefs kann
man die Gesichter Echnatons und Nofretetes kaum voneinander
unterscheiden", erklärt Wildung.
Abstrahierung
Der Museumsdirektor meint, dass es den Bildhauern der Amarna-Zeit
gar nicht so sehr darum ging, die Könige möglichst naturgetreu
abzubilden, sondern eher "als Inbegriff des Königtums". Deshalb sei
es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich die Gesichter stark
ähnelten und die Fachwelt bei Darstellungen, zu denen es keine
Hieroglyphen-Texte gebe, bis heute rätsle, um welchen Pharao und
welche Königin es sich handelt. Wildung führt als Beispiel eine Büste
vor: "Bei diesem Kopf hieß es zunächst, das sei Tutenchamun, später
sagte man, es sei Echnaton, und heute weiß man es einfach nicht." (APA/dpa)