Gaza - Der Konflikt im Nahen Osten ist nach einem
palästinensischen Angriff auf einen israelischen Armeeposten am
Dienstag, bei dem sechs Soldaten getötet wurden, in eine neue härtere
Phase getreten: Erstmals seit Beginn des palästinensischen Aufstands
vor 17 Monaten rückten israelische Bodentruppen am Donnerstag mit
Panzern auch in die Stadt Gaza ein und besetzten zwei benachbarte
Flüchtlingslager. Fünf Palästinenser wurden dabei getötet und 35 weitere durch
Schüsse verletzt. Fast überall in der 300.000 Einwohner zählenden
Stadt waren am Morgen Schüsse zu hören. Aus den Lautsprechern der
Moscheen wurde die palästinensische Bevölkerung zum Widerstand
aufgerufen. Palästinensische Sicherheitskräfte rückten aus, um sich
den israelischen Soldaten entgegen zu stellen.
Zwei Raketen auf das Hauptquartier von Arafat abgefeuert
In einem Vorort von Gaza sprengten israelische Soldaten den Turm
einer lokalen Fernsehstation. Nach drei Stunden zogen sich die ersten
Soldaten wieder aus Gaza zurück. Im südlichen Gaza-Streifen nahmen
Hubschrauber palästinensische Ziele in Rafah ins Visier. Im
Westjordanland feuerten israelische Hubschrauber bei Tagesanbruch
zwei Raketen auf das Hauptquartier von Palästinenserpräsident Yasser
Arafat in Ramallah ab. Berichte über Opfer lagen zunächst nicht vor.
Hauptwache der palästinensischen Polizei zerstört
Im Norden des Westjordanlands beschossen Palästinenser einen
Kontrollposten der israelischen Armee. Die Soldaten erwiderten das
Feuer und töteten einen Angreifer. Zwei Soldaten wurden bei dem
Zwischenfall verwundet. Bei einem weiteren Angriff zerstörten
israelische Kampfhubschrauber nach palästinensischen Angaben die
Hauptwache der palästinensischen Polizei in Nablus.
Drei mutmaßliche Attentäter verhaftet
Unterdessen gaben die palästinensischen Sicherheitskräfte die
Festnahme von drei Männern bekannt, die an der Ermordung des
israelischen Tourismusminister Rehavam Seevi im Oktober beteiligt
gewesen sein sollen. Israel hatte die Festnahme der Täter zur
Bedingung für die Aufhebung des gegen Arafat verhängten Reiseverbots
gemacht. Der palästinensische Geheimdienstchef von Nablus, Talal
Dweikat, erklärte, der Haftbefehl sei direkt von Arafat gekommen.
Arafat steht seit Dezember faktisch unter Hausarrest. Raanan
Gissin, ein Berater des israelischen Ministerpräsidenten Ariel
Sharon, erklärte, Arafats Reiseverbot werde erst dann aufgehoben,
wenn alle Tatverdächtigen verhaftet und vor Gericht gestellt würden.
Zur Ermordung Seevis hatte sich die radikale Volksfront zur Befreiung
Palästinas (PFLP) bekannt. Unter israelischem Druck ließ Arafat deren
Anführer Ahmed Saadat im Jänner festnehmen. Die drei nunmehr
Festgenommenen - Ahmed Abu Gholmi, Basel Asmar und Hamdi Koran -
befanden sich bisher auf freiem Fuß. Abu Gholmi ist der Chef des
militärischen Flügels der PFLP im Westjordanland, er soll das
Attentat auf den Minister geplant haben. Asmar und Koran werden
beschuldigt, die Morde ausgeführt zu haben.
Am Freitag beginnt das islamische Opferfest, eines der größten
Feste des Islam. Nach palästinensischen Beobachtern würde es als
schwere Demütigung ausgelegt, wenn Arafat an diesem Tag sein
Hauptquartier nicht verlassen und zum Freitagsgebet in eine Moschee
gehen könnte.
Fernsehansprache von Sharon am Abend erwartet
Der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon wollte sich am
Abend in einer Fernsehansprache an die Israelis wenden. Dabei wolle
er betonen, dass sich Israel "im Krieg gegen Terroristen" befinde,
die keine politischen Erfolge erzielen dürften, sagte der israelische
Kommunikationsminister Reuven Rivlin im Militärrundfunk. Zugleich
wolle Sharon bekräftigen, dass er nicht die Absicht habe, das
Westjordanland zu besetzen.
"Teufelskreis der Rache
Der ägyptische Präsident Husni Mubarak hat in einem
Telefongespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Sharon ein
Ende der "Racheakte" gefordert. Der "Teufelskreis der Rache zwischen
Israelis und Palästinensern" müsse endlich ein Ende finden, sagte
Mubarak am Donnerstag nach Angaben der ägyptischen Nachrichtenagentur
MENA.
Russland hat die zunehmende Gewalt zwischen Israelis und
Palästinensern verurteilt. Das Außenministerium in Moskau appellierte
an beide Seiten, die politischen Ziele ohne Waffengewalt zu
verfolgen. "Je mehr Blutvergießen es gibt, desto schwieriger wird es,
die Situation zu entschärfen und die Friedensverhandlungen wieder in
Gang zu setzen", hieß es in der am Mittwoch veröffentlichten
Erklärung. Russland ist neben den USA Vermittler im
Nahost-Friedensprozess, hat aber nie eine so aktive Rolle gespielt
wie die Vereinigten Staaten.
UN-Sicherheitsrat tagt hinter verschlossenen Türen
Auf Drängen arabischer Staaten hat der Weltsicherheitsrat am
Donnerstag Konsultationen hinter verschlossenen Türen über die
Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern angesetzt.
Ob es noch am selben Tag oder später auch zu einer öffentlichen
Debatte kommen würde, war zunächst nicht absehbar. Unterstützt von
den Mitgliedstaaten der Arabischen Liga verlangen die Palästinenser
von dem höchsten UNO-Entscheidungsgremium eine Verurteilung der
israelischen Angriffe auf Ziele in Palästinensergebieten. Sie
beharren zudem auf ihrer Forderung nach Entsendung einer
internationalen Beobachtergruppe, wie arabische Diplomaten in New
York erklärten. Bislang war dies maßgeblich von den USA blockiert
worden.(APA/dpa/ag.)