Wenn das Thai-Basilikum nicht geliefert wird, lächelt Tarn Phuong, dann könne sie die Pho-Suppe eben einfach nicht anbieten, "das würde sonst ganz anders schmecken". Und der Geschmack ist es schließlich, der die Küche Vietnams zurzeit so attraktiv macht. So attraktiv, dass sie es sogar schaffte, sich in den letzten Monaten im für exotische Genüsse doch nicht ganz so aufgeschlossenen Wien zu etablieren. Etwas, was anderen spannenden Küchen Südostasiens - der fantastischen Thai- Küche etwa oder den tausend Schärfen Indonesiens - noch nicht so wirklich gelang. Vietnam hingegen ist schwer im Kommen: Voriges Jahr übersiedelte Tarn Phuong von ihrem winzigen Vietnam-Imbiss in der Wiedner Hauptstraße in ein farbenfroh-kitschiges Chinarestaurant beim Brunnenmarkt - und ist seitdem täglich voll. Am Anfang eher nur von Asiaten besucht, zählt das "Saigon" mittlerweile zu den Lieblingsplätzen der fortgeschrittenen Asia-Genießer, im neuen "EAT" (RONDO berichtete) bedient man sich der verlockenden Frische der Vietnam-Küche ebenso wie im brandaktuellen "Ra'mien" schräg gegenüber. Und ihren vorläufigen Höhepunkt wird der Vietnam-Boom wohl erreichen, wenn Wini Brugger und Klaus Piber Anfang April ihr "Indochine 21" am Stubenring eröffnen. "Ich glaube, die Europäer essen momentan gerade lieber nicht so fett", überlegt Ly Vi Thomas, der Bruder von Frau Tarn Phuong und Importeur diverser, für die Vietnam-Küche essenzieller Kräuter und Gemüse, "und da ist die vietnamesische Küche natürlich genau das Richtige." Denn man brauche dafür schon sehr viel Gemüse, so seine Schwester, und viele Kräuter, Koriander zum Beispiel, Thai-Basilikum, Vietnam-Koriander, Wasserspinat, Sprossen, Zitronengras, Pak Choi und Chili, "aber nicht so viel Chili wie in Thailand". Ebenfalls unverzichtbar sind die Erdnüsse, "die sind bei uns fast überall drinnen", so Frau Tarn, dann natürlich der Limettensaft, der den Gerichten immer die spezielle, lebendige Säure verleiht, und die eigenwillige, original in Holzfässern vergorene Fischsauce Nuoc Mam. "Aber gesund ernähren muss man sich in Vietnam ja auch", erklärt Ly Vi Thomas, "schließlich gab es ja nie viele Medikamente." Das sei seiner Meinung nach auch ein Grund dafür, warum Vietnam in Europas Küchen momentan so angesagt ist. Für Wini Brugger, Hongkong-Heimkehrer und Küchenchef im Wiener Fusions-Asiaten "Yohm", ist es vor allem die pikante Mischung, die die vietnamesische Küche so reizvoll macht: die Schärfe aus Kambodscha, die Curries aus Indien und natürlich starker kulinarischer Einfluss aus China. Darüber hinaus, so Brugger, sei die Vietnam-Küche insofern interessant, "weil es eine Frauenküche ist. Die Männer waren nämlich während der gesamten Geschichte Vietnams mit Kämpfen und mit Verteidigung beschäftigt." Das habe zu einer komplexen Küche geführt, die viele Arbeitsschritte erfordere und viel Vorarbeit, wie zum Beispiel das Einlegen von saurem Gemüse. Was die Vietnam-Küche ebenfalls auszeichnet, erklärt Brugger, sei die Tatsache, dass es eine der wenigen Küchen Asiens ist, bei der auf Sojasauce verzichtet werde, "sie ist viel leichter und natürlicher als die meisten der chinesischen Küchen". Thema in seinem neuen "Indochine 21" wird aber vor allem der Einfluss der kolonialen Franzosen auf den Küchenstil der Südostasiaten sein, "da fand nämlich schon ganz früh eine Verbindung von Ostasien, Europa und Indien statt". Die Consommé, zum Beispiel, oder die Technik des Braisierens - Ly Vi Thomas beschreibt es folgendermaßen: "Den Fisch genau so lange auf kleiner Flamme kochen, bis er weich genug ist, um den Saft, die Kräuter und Gewürze aufzunehmen" - rühren aus der Besatzungszeit der Franzosen her. Und natürlich der populärste Snack Vietnams, das Baguette, auf Vietnamesisch so ähnlich wie "Pa-kett" ausgesprochen. Vormittags würden die länglichen, gefüllten Weißbrote, "die aber ganz anders schmecken als hier in Europa", erklärt Tarn Phuong, an Hunderten Ständen verkauft, "aber es gibt sie dort nur zwei Stunden", denn dann sei Mittag, und da esse man was anderes. Spannend sei die vietnamesische Küche vor allem dann, überlegt Wini Brugger, wenn man einerseits die Einflüsse erkennen und herausschmecken und andererseits das Essen in einen Zusammenhang bringen kann mit dem, "was man dort gesehen hat". So sei rohes Fleisch oder roher Fisch wie in Japan schon einmal deshalb undenkbar, weil das heiße und feuchte Klima die Nahrungsmittel sofort in einen bedenklichen Zustand mit gesundheitlichen Folgen verwandeln würde, "roh sind da nur Kräuter und Gemüse". Und Milch oder Milchprodukte gebe es deshalb nicht, "weil die Kühe dort den ganzen Tag hackeln müssen und deshalb nur eine unglaublich dünne Milch geben". Wein gebe es in der vietnamesischen Küche freilich nicht, gesteht Brugger, er werde im "Indochine 21" aber dennoch damit kochen. Aber schließlich wird diese "Küche der armen Leute" (Brugger) bei ihm ja auch in einem 300 m² großen, vom Hongkonger Designer Adrian McCarol gestalteten Restaurant mit Bar, Lounge, "Red Room", "jeder Menge Material-Erotik" und kolonialem Terrassenfeeling ausgestatteten Restaurant verabreicht werden. Vielleicht auch nicht so authentisch, "aber authentisch ist in Vietnam ohnehin relativ". Relativ sicher scheint jedenfalls, dass die vietnamesische Küche - die Pho-Nudelsuppen, die unvergleichlichen Shrimpsrollen "Go Cuon", der Chili-Lemongrass-Galgant-würzige Rindfleischspieß mit Reis "Com Bo Que" und Konsorten - nach ihrem Siegeszug durch sämtliche urbanen Zentren dieser Welt nun auch in Wien zu haben sind. Und es wird nach Koriander, Lemongrass und Thai-Basilikum duften, Sushi und Dim Sum werden Konkurrenz haben. Der Standard/rondo/22/02/02