Geschlechterpolitik
"Unsere Männer haben kein Monopol auf Chauvinismus"
Das Priesteramt würde ihnen das Frauen naturgegebene "Dienen" lernen - Teil III
Selbst Roses Tränen verwandeln sich in Gelächter, als wir das Image des
patriarchischen Mormonen-Mannes sezieren. Alle wollen sich zu diesem Thema
äußern. Die rotschöpfige Maridin nimmt kein Blatt vor den Mund. "Mein
Mann ist katholisch, und er ist genauso chauvinistisch wie der
Durchschnittsmann! Das hat nichts mit Religion zu tun. Männer wollen Kontrolle haben, das ist eine alte Geschichte. Die Mormonen haben kein Monopol darauf." Der blinde Gehorsam der Mormonen-Frau sei ein Mythos, versichert die Runde. "Es sind die Frauen, die hier die Verantwortung tragen. Wir sind es doch, die alles am Leben erhalten".Aber die Priesterschaft, die allein den Männern vorbehalten ist? Jeder
erwachsene LDS-Mann, selbst die jungen Missionare, sind Priester; nicht
aber ihre weiblichen Kolleginnen. Wie sie das empfunden habe, frage ich
Tara, die vor kurzem von ihrer 18-monatigen Missionszeit zurückgekehrt
ist.
"Ich fand es fein, zuschauen zu können, wie die jungen Männer als Priester
handeln, zum Beispiel jemanden segnen. Aber ich wünsche mir das nicht für
mich selbst. Die Entscheidungen, die sie machen müssen, und womit sie sich
auseinandersetzen müssen ... wir haben einfach andere Rollen. Wir haben
genauso viel Verantwortung als zukünftige Mütter."
Das Wort der Weisheit
Deanne, die als Seminarlehrerin LDS Doktrin lehrt, hört den anderen
Frauen aufmerksam zu und erläutert am Ende jeweils die offizielle Position der
Kirchenlehre. "Richtig verstanden, der Doktrin nach, besitzen die Frauen die
Priesterschaft. Wenn sie heiraten, treten sie in den Orden der Priester
ein, zusammen mit dem Ehemann. Frauen können alles tun, was ein Mann kann:
sie können die Kranken segnen, ihre Kinder segnen. Die Außenwelt, selbst
viele Männer innerhalb der Kirche glauben, die Priesterschaft bedeute
Macht. Aber die Lehre sagt aus, diese Macht sei nur dann echt, wenn sie
gerecht ausgeübt wird. Mann und Frau gemeinsam ist der einzige Weg zu
einer vollständigen Gottheit." Deanne spricht ruhig aber bestimmt. Ihre Zuhörerinnen hängen an jedem
Wort.
"Die meisten werden sich darin einig sein, dass Frauen von Natur aus
dienen können" fährt sie weiter. "Sie sind warmherziger, empfindsamer, zarter.
Das will nicht heissen, dass Männer diese Eigenschaften nicht haben. Ich sehe die Priesterschaft als eine Chance für Männer, das zu werden, was sie von
Natur aus nicht sind - besser zu werden als ihr niedrigster gemeinsamer
Nenner. Wir sehen das nicht als Macht. Wir schmunzeln im Stillen und
sagen, schau doch, sie lernen, wie man dient!"
Die anderen Frauen lachen zustimmend.
Nach einer Pause fasst sich eine unter ihnen Mut und will eine persönliche Episode erzählen. Sie bittet
mich, ihren Namen in diesem Zusammenhang nicht zu veröffentlichen.
"Mein Mann hatte vor acht Jahren eine Affäre. Er wurde exkommuniziert. Als
mein Sohn hätte getauft werden sollen, war sein Vater dazu nicht in der
Lage. [Als Priester taufen LDS-Väter ihre Kinder]. Ich war so wütend, dass er meinen Sohn nicht taufen konnte, weil er nicht würdig war, aber ich -
ich hatte doch nichts getan! War ich nicht würdig?" Sie fängt an zu
weinen.
"Das war einfach nicht fair, dass mein Sohn nicht von einem Elternteil
getauft werden konnte!" Sie putzt sich die Nase und entschuldigt sich für
den Gefühlsausbruch. "Ich war nicht auf die Kirche sauer, sondern auf
meinen Mann. Aber wenn die Kirche für mich eine Ausnahme gemacht hätte -
ich glaube fast, ich hätte es getan, ich hätte meinen Sohn selbst
getauft!"
Soziales Auffangnetz Kirche
Die anderen Frauen lachen und applaudieren. "You go, girl!" Der soziale
Zusammenhalt unter der Mormonen in schwierigen Situationen kommt zur
Sprache. Tatsächlich bietet die Kirche Familien in harten Zeiten ein
Auffangnetz, das seinesgleichen sucht. Nicht nur mit Rat und Hilfe, auch
konkret mit Nahrungsmitteln unterstützt die Kirche Familien, die in Not
geraten. Der Pioniergeist der Mormonen lebt weiter in einem starken
Bedürfnis nach Unabhängigkeit gegenüber der Außenwelt.
Die Frauen geben zu, dass Mormonen von "Nicht-Mitgliedern" oft als
klüngelhaft angesehen werden. Man sollte Andersgläubigen gegenüber offener
sein, meinen sie. Tatsächlich spüre ich während der Diskussion keine
Zurückhaltung, alle reden unbefangen, von der Jüngsten bis zur 90-jährigen
Edith. Nur als ich das Thema der "Himmlischen Mutter" zur Sprache bringe,
wird es plötzlich still. Sie sei zu heilig, um über sie zu sprechen, wird
mir zu verstehen gegeben.
Beim Abschied mahnt mich die rothaarige Maridin: "Ich sage dir eins,
Sarah: Bleib bloss nicht beim 'Wort der Weisheit' stecken. Wenn wir Besuch aus
Deutschland haben, spötteln die immer darüber, dass wir keinen Alkohol
oder Kaffee trinken - das ist doch soo banal!"
Ich verspreche ihr, dass ich das Thema Alkohol in einem Satz erledigen
werde. Hier ist er: Man kann in Salt Lake City ohne weiteres einen Drink
bekommen.
Im nächsten Teil geht es u.a. um die Polygamie bei den Mormonen.