Silvio Sademberg, Psychiater aus Sao Paolo, will beweisen, dass der Schriftsteller Stefan Zweig im Jahre 1942 keineswegs freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Die Abschiedsbriefe habe Zweig vielmehr unter Zwang verfasst. Warum zeigten die Bilder vom toten Dichter "zwei verschiedene Positionen?", fragt Sademberg. "Leichen können sich bekanntlich nicht bewegen."Eine irrwitzige Spekulation, die in der 90-minütigen Dokumentation "Der heimatlose Europäer" (am 24. 2. um 9.10 Uhr in ORF2 und am 27. 2. um 20.15 Uhr auf 3 Sat) abgehandelt wird und damit belegen soll, von welch zeitlosem Interesse die Person Stefan Zweigs geprägt ist. "Dieser Herr ist verrückt", meint der Historiker Alberto Dines und beendet dadurch eine der wenigen kontroversen Diskussionen in dem von Wolfgang Hackl gestalteten Film. 3 Sat und ORF widmen dem Schriftsteller anlässlich seines 60. Todestages am 22. Februar einen Schwerpunkt mit nicht weniger als 21 Programmpunkten - vom Theaterstück über Dokumentationen bis zum Spielfilm reicht die Palette. Nun möchte man nicht unbedingt meinen, dass die Wucht dieser Retrospektive angesichts der seit jeher eher mäßig euphorischen Beurteilung der Literaturkritik etwas zu intensiv daher kommt. Immerhin gehörte Stefan Zweig in den 20er-und 30er-Jahren zu den meist gelesenen Schriftstellern deutscher Sprache. Unverständlich daher die Art und Weise, wie im "Heimatlosen Europäer" mit dem Werk des Dichters umgegangen wird. Die weitgehend ausgesparte Kritik an Zweigs Arbeiten stößt sich unter anderem an der, wie Hartmut Müller es nennt, "mit Weihrauchschwaden überzogenen" - Sprache. Karl Kraus spottete etwa über die "Seichtheit seiner Sätze" - im Film erscheint er freilich als einsamer Rufer. Urteile wie diese schmälern den Ruhm des Schriftstellers gewiss, ehrlicher wäre es aber trotzdem gewesen, sie nicht zu unterdrücken. Möglicherweise haben die Programmverantwortlichen dem Zweigschen Prinzip, das "Mut zum Teil als Mangel von Fantasie" betrachtete, etwas zu intensiv Folge geleistet? (prie/DER STANDARD; Print-Ausgabe, 23./24. Februar 2002)