Neue Waffen? Die sind, soweit dies Ingo Wieser im bisherigen Verlauf des Afghanistan-Krieges beobachten konnte, nicht angewendet worden. Was da täglich verschossen, abgeworfen und zur Explosion gebracht wird, zeuge von keinen grundsätzlich neuen "Wirksystemen". Wohl aber von einer rapide fortschreitenden technischen Weiterentwicklung gängiger Waffentypen: Das gilt für bunkerbrechende Bomben, die schon im Golfkrieg zum Einsatz kamen, ebenso wie für moderne Aufklärungstechniken oder für die gefürchteten, mit makabrem militärischem Humor als "Gänseblümchenschneider" bezeichneten Aerosolbomben ("Daisy Cutter"), die von den Amerikanern über Vietnam oder von den Russen über Tschetschenien abgeworfen wurden. Enorme Sprengkraft Wieser, Österreichs führender Sprengstoffexperte, der in Wien am Amt für Wehrtechnik des Verteidigungsministeriums arbeitet (mit seinen Untersuchungen hatte er entscheidenden Anteil an der Entlarvung des Briefbombers Franz Fuchs), erläutert die militärische Fortentwicklung am Beispiel des "Daisy Cutters": Diese zum Typ der "Fuel Air Explosives" (FAE) gehörigen Bomben mit ihrer enormen Sprengkraft wurden früher mit Fallschirmen abgeworfen. In einer neueren Variante, wie sie im durchklüfteten Afghanistan zum Einsatz kam, können sie punktgenau verschossen werden, also etwa direkt in einen Höhleneingang. Ein zweistufiges Zündsystem sorgt dafür, dass sich erst ein Gasgemisch in der Höhle verbreitet. Das wird dann mit einer zweiten Zündung in eine vernichtende Feuerwalze verwandelt. Noch am ehesten "neu" sind die Kampfdrohnen, die die Amerikaner über Afghanistan haben ausfliegen lassen, meint Brigadier Christian Tauschitz, wie Wieser ebenfalls am Amt für Wehrtechnik tätig. Der unbemannte, mit einer Videokamera bestückte "Predator", der in diese Kategorie gehört, ist schon seit langem auf Erkundungsmissionen unterwegs. In Afghanistan wurden ihm aber erstmals panzerbrechende Raketen umgeschnallt, um Taliban-Konvois zu attackieren. "Den Begriff der Kampfdrohne gab es schon in der Vergangenheit. Die Waffe selbst wurde zuvor aber noch nicht eingesetzt - außer vielleicht bei irgendwelchen Spezialeinsätzen, von denen niemand etwas weiß", meint Tauschitz. Die militärischen Vorteile des Roboters, der etwa von der Ladefläche eines bis zu 100 km entfernten Lastwagens aus gesteuert werden kann, liegen auf der Hand: Er kann außerordentlich lange in der Luft bleiben und ist nur schwer zu orten. Predatoren und ähnliche Hightech-Flugzeuge sind nur ein Vorgeschmack dessen, was den Militärs für die Zukunft vorschwebt. Vor allem die Informationstechnologie hat ihre Fantasie ungemein angeregt und dazu geführt, dass in den USA der Plan eines landesweiten Raketenabwehrschildes, der lange für technisch nicht verwirklichbar gehalten wurde, mit einem Mal wieder auf der Tagesordnung steht. Seriöses Projekt Die Einwände kritischer Wissenschafter, dass ein Projektil nicht zuverlässig mit einem anderen abgeschossen werden kann, gibt es immer noch. Aber durch neue Technologien, die eine Zusammenführung ungeheurer Informationsmengen erlauben, ist es viel wahrscheinlicher geworden, dass ein feindliches Geschoß geortet und abgefangen werden kann. Tauschitz ist auf jeden Fall überzeugt, dass die Realisierbarkeit tauglicher Raketenabwehrsysteme nur mehr eine Frage der Zeit und des Geldes ist: "Das ist ein seriöses Projekt." Der militärtechnologische Erneuerungsschub soll - unter dem Überbegriff "Soldier 2000" - auch dem Soldaten im Feld zugute kommen. Dieser soll nach Vorstellung vorausschauender militärischer Planer mit einem GPS-System und einem Kampfhelm ausgestattet sein. Im Innern der Helmkalotte sitzt eine Art Stoppel, über den er per Knochenschall mit der Außenwelt kommunizieren kann. In der Hand hält er einen kleinen Palm-Computer, der ihn über seine Position informiert, ein Wärmebildsystem macht ihn nachtsichtfähig. Antony Lake, ehemaliger Sicherheitsberater von Bill Clinton, meint in seinem Buch "Sechs Alpträume. Wirkliche Bedrohungen in einer gefährlichen Welt", dass das erste "digitale Bataillon" der USA aus solchen Soldaten im Jahr 2004 stehen wird. "Nicht futuristisch, sondern Gegenwart" (Wieser) sind die Waffen für den "Soldier 2000". Sie werden teils schon serienmäßig produziert, teils existieren sie als Prototypen. Da gibt es etwa Gewehre, die 40-Millimeter-Granaten ebenso verschießen können wie - immer kleinere - Pfeilmunition, die auch auf einen Kilometer Entfernung noch Trefferwirkung erzielt. "Nachdenken" müssen werde man im Gefolge des 11. September auch über neue Ortungssysteme für bakterielle oder chemische Kampfstoffe, sagt Brigadier Rudolf Hofer, der Chef des Amtes für Wehrtechnik. Als im vergangenen Herbst ein Anthrax-Brief in der US-Botschaft auftauchte, "waren wir die Einzigen in Österreich, die entsprechende Luftmessungen überhaupt durchführen konnten". Die durch den Terrorismus entstandenen Bedrohungen würden es nötig machen, dass in Sicherheitsfragen immer häufiger auf das Know-how des Bundesheeres zurückgegriffen wird: "Ohne Militär geht da nichts mehr." (Christoph Winder, Der Standard, Printausgabe, 25.02.02)