Diskurs
Stabilitätspakt um jeden Preis?
Statt starr und stur auf Sparbudgetkurs zu bleiben: Ein Plädoyer für eine Neudefinition der "magischen" Drei-Prozent-Grenze bei der Staatsverschuldung von Bruno Rossmann
Verschrottet den Stabilitätspakt! Das ist nicht etwa die Aufforderung linker Ökonomen oder von KritikerInnen des "Nulldefizits". "Scrap the stability pact!", so titelte vielmehr der konservative britische Economist in seiner Ausgabe vom 25. August 2001 - harter Tobak für Deutschland, auf dessen Betreiben der Stabilitäts-und Wachstumspakt 1997 zustande kam. Wer hätte sich träumen lassen, dass gerade Deutschland das erste Land sein würde, dem - gemeinsam mit Portugal - ein "blauer Brief" aus Brüssel droht, und das nur durch Intervention im Vorfeld der Entscheidung im Ecofin-Rat schließlich mit einem blauen Auge in Form einer Ermahnung davonkam.Dennoch musste der Finanzminister zusichern, dass die Neuverschuldung - 2,7 Prozent im Jahr 2001- die magische Drei-Prozent-Marke nicht übersteigt, der heurige Budgetplan exakt eingehalten und bereits im Jahr 2004 ein "nahezu ausgeglichener" Haushalt erreicht wird.
Nicht "aufweichen" . . .,
Mit dem Verzicht des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister auf den ominösen "blauen" Brief wurde jedoch nicht von der strengen Auslegung des Neuverschuldungskriteriums abgegangen. Selbst in der gegenwärtigen Situation eines nahezu weltweiten, synchronen Konjunkturabschwungs haben stabile Preise und gesunde Staatsfinanzen Vorrang vor dem Beschäftigungsziel. So als wären über vier Millionen Arbeitslose in der BRD kein Problem. Dabei wäre es wohl - hätte die rot-grüne Regierung den im Stabilitätsprogramm vorgezeichneten Budgetpfad beschritten und zusätzliche Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen umgesetzt - nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ausgesprochen ungemütlich geworden: Ein noch stärkerer Sparkurs würde die Nachfrage weiter schwächen und damit die Bedingungen für das Wachstum und die Beschäftigung sowie in weiterer Folge auch für die öffentlichen Haushalte verschlechtern. Die strenge Auslegung des Defizitkriteriums ist daher als stabilitätsgefährdend und ökonomisch falsch anzusehen.
Österreich schaffte im vergangenen Jahr mit einer prozyklischen Budgetpolitik, die uns die historisch höchste Abgabenquote bescherte, zwar das "Nulldefizit", aber um den Preis einer massiven Wachstumsabschwächung und eines deutlichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit. Da Deutschland Österreichs wichtigster Handelspartner ist, hätte also ein restriktiverer Budgetkurs in Deutschland die Kosten der Konsolidierungspolitik noch weiter in die Höhe getrieben. Das kann aber nicht der Sinn eines Stabilitätskriteriums sein. Für das Wohlergehen der europäischen Bevölkerung wäre es vielmehr sinnvoll, wenn die EU-Staaten - wie die USA - alles daransetzten, die Konjunktur anzukurbeln.
. . . aber modifizieren
Die starre Auslegung des Defizitkriteriums - angesichts konjunktureller Schwankungen - ist vor allem deshalb unangemessen, weil das Beharren auf ausgeglichenen Budgetzahlen bzw. sogar -überschüssen prozyklische, also den Konjunkturabschwung verstärkende Effekte auslöst.
Trotz zunehmender Kritik in einigen Mitgliedstaaten wurde die jüngste Debatte aber bisher leider nicht genutzt, um über die ökonomische Sinnhaftigkeit des Pakts bzw. dessen dringend notwendige Modifizierung nachzudenken. So wäre das Neuverschuldungskriterium stärker als bisher auf konjunkturelle Einflüsse abzustimmen, indem man den Pakt nur auf zyklisch bereinigte Defizite anwendet, d.h. die öffentlichen Haushalte müssten nur über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen sein.
Dies hätte wohl den unangenehmen Nebeneffekt für die Regierungen, Budgets in Zeiten konsolidieren zu müssen, in denen die Wirtschaft ausreichend wächst und genügend Staatseinnahmen vorhanden sind; sie müssten also vom derzeitigen "Spare in der Not, da hast du Zeit dazu" zum politisch wesentlich schwierigeren Gegenteil übergehen und in guten Zeiten Reserven für den nächsten Abschwung anlegen. Eine derartige Umorientierung bedeutet jedoch keineswegs eine Aufweichung des Stabilitätspaktes, wie oft behauptet wird. Sie erleichtert zwar das Reagieren auf Rezessionen, stellt aber zugleich eine Verschärfung des Paktes in Zeiten der Prosperität dar.
Zusätzliche Flexibilität wäre auch dadurch erreichbar, dass die Ausgaben für öffentliche (Infrastruktur-)Investitionen nicht auf das Budgetdefizit angerechnet werden. Damit könnten so nebenbei auch einige teure statistische Tricks vermieden werden.
Fazit: Ein so definierter Stabilitätspakt würde der Beschäftigungspolitik mehr Spielraum gewähren - angesichts steigender Arbeitslosenzahlen ein Mindesterfordernis. Ein weiteres Beharren auf der kurzsichtigen Ohne-wenn-und-aber-Strategie erhöht hingegen die Wahrscheinlichkeit, dass der Stabilitätspakt tatsächlich bald auf dem Schrotthaufen der Geschichte landet. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 26.2.2002)