Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Österreich und Deutschland betreiben eine gemeinsame Fußball-Liga. Die Österreicher müssen jahrzehntelang ohnmächtig zusehen, wie der Stolz des Landes, der Schmuck seiner Samstagnachmittage von den nachbarlichen Philistern aufgekauft wird. Die Kanadier leiden unter dem großen Bruder USA, der in der gemeinsamen National Hockey League (NHL) mittels Kapitalkraft so manchen kanadischen Eishockeyklub in den Konkurs getrieben hat. Der Sonntagabend entschädigte die Kanadier nachhaltig. Die Euphorie nach dem 5:2-Sieg über die USA machte eiskalte Erwachsene wie den 41-jährigen Wayne Gretzky stammeln: "Unser Land hatte es bitter notwendig, dass wir dieses Turnier gewinnen - es musste fünfzig Jahre darauf warten." Die Amerikaner verloren erstmals seit 1932 ein olympisches Heimspiel. Gretzky, der alles erreicht hat, wird ausgerechnet die Goldene nie gewinnen. Vor vier Jahren schied er im Halbfinale aus - diesmal fungierte The Great One als Exekutivdirektor des kanadischen Teams; aus der Unzahl an Millionären stellte er eine strebsame, arbeitswillige, schnelle Truppe zusammen, und die schnelleren Beine gewannen ihm das Finale, wie auch der US-Coach Herb Brooks einräumte. Gretzky hinterließ einen Stapel von Rekorden - Tore: 1072 (mit Playoff) oder 894 (regulär, 20 Saisonen); Assists (regulär): 1961; Punkte (regulär): 2855; Saisontore: (mit Playoff, 1983/84): 100; Assists in einem Spiel: sieben. Er holte vier Stanley Cups - die Meistertüte der nordamerikanischen National Hockey League -, alle mit seinem Stammverein, den Edmonton Oilers. 1988 lässt er sich nach Los Angeles verkaufen, weil er angeblich seiner Frau Janet, einem kalifornischen Model, folgt. "Für einige Kanadier war ich wieder eine Sache, die die Amerikaner gestohlen haben. Sie nannten mich einen gierigen Verräter." Gretzky beherzigte vielleicht nur einen uralten Ratschlag seines Vaters Walter: "Gehe nicht dorthin, wo der Puck ist, gehe dahin, wo er hinkommen wird." In L. A. spielte er so gut wie je, aber der Stanley Cup blieb unerreichbar, nach einem Gastspiel in St. Louis ließ er die Karriere bei den New York Rangers ausklingen. Am 29. März 1999 übertraf er mit 1072 Punkten Gordie Howes Marke, es war Zeit abzutreten. Auch der alte Mann las 1998 in Nagano das Spiel wie ein Buch. Seit er 1979 für Edmonton in der NHL debütierte, bewegte sich der schmale Mann unter den riesigen Rabauken wie ein ungreifbarer Schatten, der stets im richtigen Augenblick aus dem leeren Raum auftauchte und Aktionen zu Ende führte, die die Gegner erst sahen, als es zu spät war. Den Amerikanern muss es am Sonntag so ähnlich gegangen sein.