Adolfo Pérez Esquivel hofft auf die Entstehung neuer sozialer Bewegungen und kritisiert die Hegemonialbestrebungen der USA
Redaktion
,
Buenos Aires - Adolfo Pérez Esquivel ist derzeit
viel unterwegs.
Der 71-jährige Argentinier, der
1980 für sein Engagement für
Menschenrechte
mit dem Friedensnobelpreis
ausgezeichnet
wurde, ist aktiver
denn je: Argentiniens Krise betrachtet der Chef
des kirchlichen
Vereins "Servicio
Paz y Justicia" (Dienst für
Frieden und Gerechtigkeit)
auch als Chance.
Er ist dabei, im ganzen Land
Volksversammlungen zu organisieren. "Wir müssen neue
politische Räume schaffen.
Die bisherige Art, Politik zu
machen, gilt nicht mehr." Pérez Esquivel hofft, dass aus
den Massenprotesten eine
neue soziale Bewegung entsteht, die den Kampf gegen die
Armut als zentrale Aufgabe
begreift. Denn erstmals demonstriere auch die Mittelschicht Argentiniens, die von
der Kontensperre und der
Abwertung stark betroffen sei.
"Als die Taschen dieser Klasse
betroffen wurden, sind auch
die erstmals herausgekommen, um zu protestieren."
Verantwortlich für die Misere: Banken, Politiker und Regierungen
Für Pérez Esquivel gibt es
"konkret Verantwortliche" für
die Misere: "Die Banken, die
Politiker, die Regierungen. Sie
haben einen Raub der nationalen Ressourcen ohnegleichen erlaubt." Dass Politiker
sich nicht mehr auf die Straße
trauen könnten ohne Angst,
von den Menschen angegriffen zu werden, hätten sie sich
selbst zuzuschreiben. Pérez
Esquivel, einer der Wortführer
für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung und Hauptredner beim Weltsozialforum
in Porto Alegre,
sieht schwarz:
"Was in Argentinien passiert ist,
kann in allen anderen lateinamerikanischen Ländern geschehen."
Pérez Esquivel
fürchtet auch die
Macht des "großen Bruders" im
Norden. "Die USA
wollen Hegemonie auf dem ganzen Kontinent.
Wir haben hier
Regierungen ohne
Courage und Entscheidungswillen, die total dominiert
sind von der Politik der Nordamerikaner. Wenn die USA es
schaffen, ihr hegemoniales
Projekt durchzusetzen, dann
wird das auch zu einer gefährlichen Remilitarisierung
Lateinamerikas führen." Europa könnte gegensteuern, indem es bilaterale Abkommen
schließt, Projekte finanziert
und in Lateinamerika investiert. "Ich rede nicht nur von
Solidarität, sondern auch von
wirtschaftlichem Interesse."
Kriege um Märkte
Seine Prognose: "Die nächsten Kriegen werden nicht wegen Territorien stattfinden,
sondern um Märkte. Wir sind
schon mitten drin in diesem
Krieg der Märkte." Aber das
Beispiel Argentinien zeige,
dass der pure Neoliberalismus
gescheitert sei und es keine
wirtschaftliche Entwicklung
ohne soziale Dimension gebe.
Positiv sei, dass die Militärs
in Argentinien derzeit ruhig
blieben, meint Pérez Esquivel,
der während der Militärdiktatur (1976-1983) eineinhalb
Jahre in Haft saß. "Es gibt insgesamt auch sehr viel Hoffnung. Die Argentinier sind ein
Volk, das diese Probleme
überwinden kann."(Der STANDARD, Printausgabe 6.3.2002)
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