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An manchen, den nachdenklichen Tagen frisst einen geradezu der Neid. Oder die Scham. Oder beides. Tage sind dies, an denen der Österreicher zur Kenntnis nehmen muss, wie sehr das Land, das er bewohnt, doch österreichisch ist. Wochen hindurch hat er sich zugedröhnt mit all dem Schwachsinn, aus dem hier das öffentliche Leben besteht. Und dann genügt zuweilen ein ganz kleiner, peripherer, oft geradezu lächerlicher Anlass, um inne zu werden, wie gestraft der Österreicher ist mit seinem Österreich. Ein solcher Anlass kann zum Beispiel ein flüchtiger Seitenblick in einer Buchhandlung sein. Der pure Zufall führt einen zu Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt": ein Titel, so abseitig, dass einem ganz warm werden kann ums Herz. Das Kraut ist ja - na ja: schon - eine Art Jugenderinnerung. Wolfgang Ambrosens Gesang vom Schwarzen Afghanen trägt einen in die Zeit vorm axialen Bösen zurück. Einer der beiden Autoren, Michael Karus, ein Diplomphysiologe, sieht aus wie einer der beiden ZZ Tops. Man könnte schwören, ihn einst in der Nähe von Tetuán kennen gelernt und ein paar Worte über den Roten Libanesen mit ihm gewechselt zu haben. Das Buch, das er und sein Kollege vom "nova-Institut für Ökologie und Innovation" vorgelegt haben, bringt einen aber rasch ins Gegenwärtige zurück. Denn es ist, wissenschaftlich untermauert und penibel recherchiert, ein Beitrag zu einer politischen Debatte in Deutschland, die demnächst auch vor dem Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe verhandelt werden wird. Ein schlichtes, ein - ohne Anführungszeichen - nüchternes Thema: Nach der 1998 beschlossenen "Fahrerlaubnisverordnung" kann Haschisch- und Marihuanakonsumenten auch dann der Führerschein abgenommen werden, wenn sie gar nicht mit dem Auto gefahren sind. Die Droge führe nämlich zu einer generellen Beeinträchtigung, sagt zumindest der Münchner Psychologe Werner Kannheiser in seinem Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Kritiker, darunter die Herausgeber, sehen darin freilich eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Man stelle sich, so die frühere Drogenbeauftragte Christa Nickels, nur vor, wenn jedem, der eine Flasche Wein zu Fuß nach Hause trägt, der Führerschein entzogen würde. Die Regelung diene einfach dazu, einen Strafrechtsersatz dafür zu schaffen, dass der Konsum von "geringen Mengen" seit 1994 straffrei gestellt worden ist. Die beiden Herausgeber konfrontieren das bis heute rechtswirksame Gutachten des Münchner Professors mit den Ergebnissen der neuesten Studien und schaffen so eine Grundlage für die anstehende Debatte, die auch die in den USA bereits gängigen Drogenscreenings beim Einstellungsgespräch umfasst. In 19 Beiträgen referieren 13 Autoren den neuesten Stand der Cannabisforschung, wobei naturgemäß auch die traditionelle Gegenüberstellung von Cannabis und Alkohol - das stärkste Argument für eine Liberalisierung - nicht fehlt. Das Buch kann allen empfohlen werden, die sehen wollen, wie politische Debatten auch geführt werden können. Hierzulande, wo Fachwissen eher als Hinderungsgrund für die Teilnahme gilt, ist das Thema ja auch im Gespräch. Im Gespräch? Unlängst haben ÖVP und FPÖ im steirischen Landtag beschlossen, Drogentests bei der Führerscheinprüfung einzuführen. Beide Parteien legten eigenständige Anträge vor. Die FPÖ war empört. Denn für solche Dinge fühlt sie sich zuständig. Die Frage, ob es sinnvoll, mit Persönlichkeitsrechten vereinbar, dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend sei, wurde dann folgerichtig gar nicht erst gestellt. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 9. /10. 3. 2002)