Dagegen macht ein anderes Kommissionsmitglied zunehmend den Eindruck, überfordert zu sein. Und das ist umso bedauerlicher, als es sich bei seinen Agenden ebenfalls um entscheidende für die Zukunft der Union handelt: die Erweiterung. Wenn es um Konflikte zwischen Beitrittskandidaten und Mitgliedern oder zwischen Bewerbern untereinander ging, so vertrat Günter Verheugen bis vor kurzem den Standpunkt, dass dies die EU selbst eigentlich nichts angehe.
Das war zunächst beim Thema Temelín/Atomsicherheit so, wo Brüssel dann aber immerhin als Vermittler zwischen Wien und Prag fungierte. Und wo inzwischen auch Kommissionspräsident Romano Prodi für EU-weite Sicherheitskriterien eintritt.
Ähnlich läuft es nun in der Debatte um die Benes-Dekrete. Da behauptete die Kommission zunächst, dass es sich um Eigentumsfragen handele, die bilateral zu lösen seien. Damit wollte man die Frage, inwieweit die Dekrete noch heute wirksam sind, elegant ausklammern. Nachdem der politische Druck, vor allem aus dem Europaparlament, stark gestiegen ist, erkannte man auch in der Kommission Handlungsbedarf.
Verheugens jüngste Äußerungen zur Überprüfung der tschechischen Rechtspraxis stiften allerdings mehr Verwirrung als Klarheit. Was aber weit schlimmer ist: Mit einer solchen Defensivlinie macht die Kommission eindeutig Negativwerbung für das europäische Projekt, dessen Motor sie eigentlich sein sollte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 15. 3. 2002)