Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/epa/Belga/ Olivier Matthys
Brügge braucht eigentlich kein Programm, um europäische Kulturhauptstadt 2002 zu sein: Die Touristen strömen ohnedies millionenfach in die flandrische Kleinstadt. Doch sie bietet seit kurzem nicht nur pittoreskes Mittelalter-Ambiente: Das neue Konzertgebäude beeindruckt mit seinem Kammermusiksaal.
Thomas Trenkler aus Brügge

WEB-TIPP:

www.brugge2002.be

Vor knapp drei Jahren, im Mai 1999, nahm Hugo De Greef, frisch bestallter Intendant der Kulturhauptstadt, die Brügge heuer - zusammen mit Salamanca - sein darf, die Arbeit auf: Er scharte, wie wenig später auch Wolfgang Lorenz, sein Grazer Pendant für 2003, einige kluge Köpfe um sich. Darunter den aus Brügge gebürtigen Schriftsteller Peter Verhelst, der ein Gedicht mitbrachte. Und dieses wurde, in der Folge auch vertont, zum Leitfaden für das Ganzjahresfestival auserkoren: "Eines Tages tauchten sie auf. Schwärmten aus / über die Stadt und nisteten sich ein. / Wir gaben ihnen Essen von uns selbst. / Eines Tages verschwanden sie. /Aber sie blieben. Nachts besuchten sie uns / in unseren eigenen, fremdfarbigen Träumen." De Greef, zuvor Direktor des Brüsseler Kaaitheaters, meint zwar, dass sein Programm ein anderes geworden wäre, hätte es dieses Gedicht nicht gegeben. Doch weder scheinen die Zeilen nur auf das pittoreske Städtchen anwendbar zu sein, noch unterscheidet sich das Gebotene grundlegend von den Inhalten anderer Kulturhauptstädte (so auch Graz): Brügge stellt sich selbst dar, bietet prominente Namen auf, bedient alle künstlerischen Sparten von der bildenden Kunst über den Film bis zum Tanz. Und nahm die Gelegenheit wahr, sich noch ein wenig mehr herauszuputzen: In diverse Restaurierungen flossen rund 20 Millionen Euro. Zudem versuchte man - nicht weiter verwunderlich -, architektonische Zeichen zu setzen. Am Stadtrand wurde eine Fußgängerbrücke über eine Gracht geschlagen (in Graz wird eine Uferpromenade angelegt), für den Burgplatz ließ man sich von Toyo Ito einen schwimmenden Pavillon kreieren, einen luftigen Metallquader mit Bienenwabenstruktur (in Graz realisiert man eine in der Mur schwimmende Insel). Und neben dem Verkehrsknotenpunkt 't Zand errichtete man um 40 Millionen Euro das neue Konzertgebäude, gestaltet von Paul Robbrecht und Hilde Daem. Es ist zwar noch nicht ganz fertig - ein Schicksal, dass es mit vielen anderen Kulturhauptstadtprojekten teilt (dem Grazer Kunsthaus wird es nicht anders ergehen) -, aber überaus gelungen, auch wenn das mächtige Gebäude, im Inneren aus Sichtbeton, ergänzt durch schichtgeleimtes, unregelmäßig mit Farbstreifen bemaltes Holz, viel diskutiert wurde. Für die größte Überraschung sorgt dabei der Kammermusiksaal, ein dreistöckiges, überdachtes Atrium mit rundumlaufenden Arkadengängen. Einziger Wermutstropfen: Radikalität und Understatement sind von außen nicht spürbar. Denn die Fassade wurde, um sie der Backsteinarchitektur anzugleichen, mit Klinker verkleidet. Mit diesen drei Projekten habe sich Brügge, sagt De Greef, auf die Landkarte der zeitgenössischen Architektur gesetzt. Und das sei ihm wichtig gewesen. Auch wollte er mit den bereitgestellten 25 Millionen Euro (Lorenz steht in Graz eine doppelt so hohe Summe zur Verfügung) nicht ein Programm vor allem für Touristen konzipieren: Diese gibt es in der von Pralinen-und Spitzengeschäften dominierten Kleinstadt, die nach wie vor aus einem Guss entstanden scheint, ohnedies. Nämlich drei Millionen jährlich. Eine Steigerung der Nächtigungszahlen, die man sich in Graz erhofft, sei daher kein definiertes Ziel gewesen. Die Realität hingegen sieht natürlich anders aus: Letztes Wochenende wurden an die 200 Journalisten nach Brügge geflogen, wobei die Bedeutung des Tourismus nicht genug hervorgehoben werden konnte. Und selbstredend ist die Ausstellung, die den Anlass gab, als Blockbuster angelegt: Jan van Eyck und seine Zeit. Flämische Meister und der Süden 1430-1530 . Mit der ersten großen Altmeisterpräsentation seit dem 11. September 2001 versuchte Kurator Till-Holger Borchert allerdings, im Groeningemuseum mehrere Aspekte unter einen Hut zu bringen: Er wollte nicht nur der Ausstellung Les Primitifs Flamands et l'Art à Bruges , die 1902 ein grandioser Erfolg gewesen war, die Reverenz erweisen, sondern auch eine Verbindung zu Salamanca herstellen und die verschiedensten Themen anreißen. So gibt es bis 30. Juni zwar sehr viel (zum Beispiel Jean Fouquets außergewöhnliche Madonna mit Kind ), aber nur ein knappes Dutzend Van-Eyck-Gemälde samt dem Niccolò-Albergati-Porträt aus dem Kunsthistorischen Museum zu sehen: Das mutmaßliche Selbstbildnis mit Turban und der Genter Altar fehlen. Bis zur nächsten Themenschau HANSE@MEURODICI.COM (ab 23. Mai) laufen noch zwei weitere Ausstellungen: In der Hogeschool West-Vlaanderen, einer weitläufigen Anlage aus dem 19. Jahrhundert, zeigt man auf verblüffende Art Gegenwartskunst mit Schwerpunkt Video aus Sammlungen. Und das Arentshuis hat eine Memorabiliaschau zusammengestellt: Impact, 1902 revisted präsentiert Belege, Fotos, Kataloge und ein paar kopierte Meisterwerke der oben zitierten Ausstellung. Beim Eingang steht: "Keine Spitzen-Ausstellung!" Wie wahr. In beiderlei Hinsicht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 3. 2002)