Andrássy-Straße 60 - bis zur Wende vor zwölf Jahren flüsterte sich man diese Adresse in Ungarn nur hinter vorgehaltener Hand zu. Das Tabu, welches das dreistöckige Großbürger-Haus im Neo-Renaissancestil umgab, war schon damals Geschichte. Eine Geschichte, die selbst im relativ liberalen Ungarn unter János Kádár nicht öffentlich erzählt werden durfte. In den 50er Jahren hatte hier die berüchtigte kommunistische Geheimpolizei ihr Hauptquartier - Strategie- und Folterzentrale in einem.Was die Peinlichkeit für die herrschenden Kommunisten erhöhte: vor dem Zweiten Weltkrieg war das ominöse Haus der Parteisitz der so genannten "Pfeilkreuzler", die eine ungarische Variante des Nationalsozialismus vertraten. Als sie 1944 mit deutscher Hilfe die Macht an sich rissen, nutzten sie das Haus in der Andrássy-Straße 60 als Gefängnis und Folterkeller. Den Nazi-Terror beendete der Einmarsch der sowjetischen Truppen. Die Kommunisten, die in ihrem Schlepptau aus der Moskauer Emigration zurückkehrten, wählten sich ausgerechnet dieses Haus als Zentrale ihrer politischen Polizei, zunächst Staatsschutz-Abteilung (ÁVO), dann Staatsschutz-Amt (ÁVH) genannt. Nach stalinistischem Vorbild und unter Anleitung sowjetischer Berater wurden hier so genannte Feinde der "Volksmacht" gefangen gehalten, gequält und gefoltert. Hier wurden Geständnisse erpresst, die großen Schauprozesse geplant und vorbereitet. Opfer dieses Terrors konnte ein jeder werden: enteignete Fabriksbesitzer ebenso wie unangepasste Arbeiter, bürgerliche oder sozialdemokratische Politiker ebenso wie Kommunisten, die als "innere Feinde" entlarvt wurden. Die stalinistische Führung um den kahlköpfigen und dumpfgeistigen Mátyás Rákosi (Eigendefinition: "bester Schüler Stalins") brauchte "Feinde" am Fließband - der pure Schrecken war ihr Herrschaftsinstrument. Die Maschinerie des Terrors verschlang ihre eigenen Maschinisten: László Rajk, der erste Innenminister der "Volksmacht", wurde 1949 aufgrund hier erpresster "Geständnisse" hingerichtet. János Kádár, sein Nachfolger als Innenminister, der ihn in die Mangel genommen hatte, wurde 1951 seinerseits hier gefoltert. Gábor Péter, der für seine Grausamkeit berüchtigte ehemalige Schneidergeselle und ÁVH-Chef, wurde 1953 verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Ein Schauplatz, an dem sich der politische Terror des 20. Jahrhunderts dermaßen handgreiflich bündelte, lädt geradezu ein, zu einer Stätte der Erinnerung gemacht zu werden. Drei Milliarden Forint (12,5 Millionen Euro) stellte Ungarns konservative Regierung zur Verfügung. Für ungarische Verhältnisse ist das eine immense Summe, für die man aus dem Vollen schöpfen konnte. Die Planung und Leitung wurde der Historikerin Mária Schmidt, einer persönlichen Beraterin von Ministerpräsident Viktor Orbán, anvertraut. "Ein wenig Genugtuung für die Opfer, eine Gelegenheit zur Gewissensprüfung für die Täter", erklärte sie ihr Programm kurz vor der Eröffnung des "Terrorhauses" am 24. Februar dieses Jahres. Frau Schmidt war zuvor durch Äußerungen aufgefallen, die sie in die Nähe des Holocaust-Relativierens gerückt hatten. Wer das Haus betritt, muss zunächst an zwei Granitblöcken vorbei: einem schwarzen für die Opfer der "Pfeilkreuzler" und einem roten für die Opfer des Kommunismus. Das Innere wurde als Atrium-Hof gestaltet: eine mächtige Metallwand ist mit Hunderten gravierten Konterfeis von Opfern der beiden Gewaltsysteme bedeckt; in der Mitte steht ein sowjetischer Panzer in einer riesigen Lacke aus Öl - das Öl rinnt aus dem Panzer. Eine der jungen, adretten Museumsführerinnen erklärt, das rostige Monstrum symbolisiere "unsere Revolution" (den anti-stalinistischen Volksaufstand von 1956), aber auch die "sowjetische Besatzung" oder das "Ende des Kommunismus". Es ist klar: Hier gibt man sinnfälliger Erfahrung und diffuser Symbolik den Vorzug vor diffizilen historischen Erklärungen. Ein Raum ist dem sowjetischen Gulag, dem Archipel von Zwangsarbeitslagern gewidmet, in das auch 700.000 Ungarn - Kriegsgefangene ebenso wie Zivilisten - verschleppt worden waren. Der Boden besteht aus einem Teppich, der eine Landkarte der Sowjetunion abbildet. Die Orte von Arbeitslagern sind durch in den Teppich gerammte, umgekehrte Kegel markiert. Die Kegel dienen zugleich als Leuchtkörper. Oben beinhalten sie Vitrinen, in denen Gebrauchsgegenstände - Pelzmützen, Stiefel, Essgeschirr - von heimgekehrten Zwangsarbeitern ausgestellt sind. An den Wänden sind TV-Monitore angebracht, aus denen Gulag-Opfer über ihr Schicksal erzählen. In diesem Fall gewiss eine schöne Veranschaulichung. Doch so viel Kreativität im Gestalterischen läuft ständig Gefahr, sich in der Ästhetisierung des Schreckens zu verlieren. Die "Pfeilkreuzler", die im Oktober 1944 an die Macht kamen, gingen daran, das Budapester Juden-Ghetto, das bis dahin unangetastet geblieben war, zu liquidieren. Die Opfer wurden an die Donau geführt und dort so erschossen, dass ihre Körper in den Strom fielen und weggeschwemmt wurden. "In die Donau schießen" (Dunába löni), nannte man das. Den ungarischen Faschisten sind zwei von mehr als 20 Räumen zugedacht. Aus Lautsprechern dröhnen Nazi-Reden. Die obligaten TV-Monitore zeigen Nazi-Aufmärsche. Am Ende des zweiten Raumes bildet eine Video-Projektion die Donau ab. Eisschollen treiben auf dem Strom. In periodischen Abständen spielt die Tonanlage ein dumpfes Klatschen ein - das Aufschlagen der Erschossenen im Wasser... Doch auch vor manipulativen Botschaften schreckt man nicht zurück. Der so genannte "Umkleideraum" ist von Spinden eingefasst, in der Mitte drehen sich Rücken an Rücken eine "Pfeilkreuzler"- und eine Politruk-Uniform. Der obligate TV-Monitor zeigt im Charlie-Chaplin-Stil einen Mann, der von einer Uniform in die andere springt. Worauf die Inszenierung anspielt: der kommunistische Herrscher Rákosi rief 1945 dazu auf, die einfachen Mitglieder der "Pfeilkreuzler"-Partei in die Kommunistische Partei aufzunehmen. In der ÁVO oder im ÁVH diente allerdings - nach dem derzeitigen Stand der ungarischen Zeitgeschichtsforschung - kein einziger "Pfeilkreuzler". Genau das aber suggeriert die Ausstellung. Ohnehin verschwimmen die Grenzen zwischen historischer Realität und inszenierter Imagination. Bei den Exponaten ist meist nicht klar, ob es sich um Originalgegenstände, Rekonstruktionen oder der Phantasie der Ausstellungsmacher entsprungene Artefakte handelt. So eindrucksvoll das Arbeitszimmer des furchtbaren Gábor Péter ist, der Betrachter fragt sich, was daran echt ist (vielleicht in diesem Fall sogar alles). Die Folterkeller, die einigermaßen getreue Rekonstruktionen der Originale sein dürften, erwecken jene Beklemmung, die eine derartige Gedenkstätte eben erwecken muss. Bei den dort ausgestellten Galgen für die hinzurichtenden politischen Gefangenen ist zumindest auf den Begleitzetteln vermerkt, dass sie von woandersher stammen, weil in der Andrássy-Straße 60 nie Hinrichtungen stattfanden (wohl aber Tötungen von Gefangenen durch Folter und Entbehrungen). Doch wenn dann die adrette Führerin erklärt: "In dieser Zelle war Péter Mansfeld gefangen", dann fühlt sich der wissende Besucher verwirrt. Bei Péter Mansfeld handelt es sich nämlich um einen besonders skandalösen Fall der kommunistischen Rachejustiz nach der 56er-Revolution. Der junge Widerständler war als 16jähriger verhaftet und zum Tode verurteilt worden - um ihn hinzurichten, warteten die Blutrichter, bis er 18 war. In der Andrássy-Straße 60 kann er nicht eingekerkert gewesen sein, weil das ÁVH bereits 1952 - und nicht 1956, wie die Ausstellungsmacher behaupten - von dort ausgezogen war. So beginnen Legendenbildungen... Das Feuerwerk an visuellen Reizen und sinnlichen Installationen birgt klare ideologische Botschaften. "Die Täter sind unter uns" - die Spitze richtet sich gegen die oppositionellen Sozialisten, die in der Wendezeit aus dem Reformflügel der Kommunistischen Partei hervorgegangen sind. Im April sind in Ungarn Wahlen, und da fügte es sich passend, dass das "Terrorhaus" noch vor dem erbittert umkämpften Urnengang eröffnet werden konnte. "Zwei Okkupationen", ist die Exposition übertitelt - hier die deutsche Besatzung mit den "Pfeilkreuzlern", dort die sowjetische mit den Kommunisten. Das heimische Volk war in jedem Fall das Opfer - wie bekannt das klingt in österreichischen Ohren. Kein Wort über die rechts-autoritäre Herrschaft von Miklós Horthy, die dem "Pfeilkreuzler"-Terror recht organisch vorausging: da gab es bereits die Judengesetze nach Vorbild der Nürnberger Gesetze, da gab es auch politische Verfolgungen, prügelnde Gendarmen und manipulierte Wahlen. Der Historiker László Varga, bis vor kurzem Leiter des Budapester Stadtarchivs und Autor des Studienbandes "János Kádár vor seinen Richtern", gibt zu bedenken: "In dieser Darstellung rückt nicht der Konflikt zwischen Demokratie und Diktatur in den Vordergrund, sondern die Diktaturen werden schicksalshaft auf ein nationales Unglück reduziert." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24. 3. 2002)