Der deutsche Fernsehmarkt steht nach Ansicht
von Experten vor dem größten Umbruch seit der Einführung des
kommerziellen Fernsehens Mitte der 80er Jahre. Es sei in diesem Jahr
noch mit zahlreichen Umwandlungen, Einstellungen und Zusammenlegungen
von TV-Sendern zu rechnen, erklärte der Kölner Medienforscher Lutz
Hachmeister im Gespräch mit der dpa.
"Ausverkauf"
Aktueller Anlass für den "Ausverkauf" des wichtigsten
Medienmarktes nach den USA ist laut Hachmeister die Krise der
KirchGruppe, aber es gebe generell zu viele "halbe Vollprogramme"
ohne publizistische und ökonomische Substanz. Zudem sei es "eine der
üblichen medienpolitischen Illusionen", 13 bundesweit verbreitete
öffentlich-rechtliche TV-Sender zu unterhalten und gleichzeitig ein
florierendes kommerzielles Fernsehen haben zu wollen.
Neuordnung des Fernsehmarktes
Außer RTL stünden alle anderen kommerziellen Kanäle "in der
bisherigen Form und Programmstruktur zur Disposition". Es zeige sich
jetzt, so Hachmeister, dass sich deutsche Fernseh-Manager "lange auf
einer Insel der Glückseligen gewähnt" hätten, während es sich in
Wirklichkeit um "einen überbesetzten und schlecht geordneten Markt"
gehandelt habe. "Wenn selbst die RTL-Gruppe wirtschaftlich stagniert,
Kirch vor der Pulverisierung steht und das Pay-TV sich als
anhaltendes Milliardengrab erweist, dann kann etwas an dem System
nicht stimmen."
"Eliten-Versagen"
Nach Hachmeisters Berechnung hat das kommerzielle Fernsehsystem in
Deutschland seit seiner Einführung 1984 ein Defizit von 4,4
Milliarden Euro erwirtschaftet. Dabei schlägt allein das Pay-TV-
Geschäft mit 3,9 Milliarden Euro Minus zu Buche. Seit längerem
profitabel arbeiteten bislang lediglich die Sender RTL, ProSieben und
Kabel 1.
Die gegenwärtige Krise um Kirch sei eine Folge von
"Eliten-Versagen", verantwortlich seien neben dem Kirch-Management
vor allem Politiker, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater und
Großbanken. Es sei "kein Gewinn für das deutsche Fernsehsystem, wenn
die im Mediengeschäft tollpatschigen Banken nun auch noch in den
Resten der KirchGruppe herumregieren", sagte Hachmeister. Wenn Silvio
Berlusconi und Rupert Murdoch das zerfallene Kirch-Imperium
übernähmen, sei dies "die gerechte Strafe für die deutsche
Medienpolitik." (APA/dpa)