Alltag
"Eine stählerne Faust im Samthandschuh"
Queen Mum wird weiterhin als Symbol britischen Durchhaltewillens verehrt
Pastellfarbener Hut, huldvolles Lächeln, das benetzte Haupt hält die Dame ein wenig schräg. So haben die Briten ihre Samstag verstorbene Königinmutter in Erinnerung. So kennen sie die Schottin von unzähligen Fotos und aus dem Fernsehen, wenn sie zu irgendeiner Geburtstagsfeier Rotröcke mit Bärenfellmützen aufmarschieren ließ, zuletzt an Krücken, aber lächelnd."Sie hat ein Jahrhundert geprägt"
Diese Frau als federgeschmückte Dekoration des Hauses Windsor abzutun, meint Robert Lacey, ein intimer Kenner der Royals, sei schlichtweg falsch. "Sie hat ein ganzes Jahrhundert geprägt." - Und das scheint das Leitmotiv, das die Briten für die Trauer um die 101-jährige Queen Mum wählen.
Sie hat zwei Weltkriege erlebt und den Verfall des Empire, Winston Churchill, Margaret Thatcher und Tony Blair. Sie war Kaiserin von Indien und schließlich nette Oma.
Als Elizabeth Bowes-Lyon geboren wird, am 4. August 1900, als neuntes Kind des schottischen Lords von Strathmore, ist Königin Victoria noch am Leben. 1923 heiratet sie den schüchternen, von Stotteranfällen geplagten Prinzen Albert, den zweiten Sohn von König Georg V. Die Töchter Elizabeth und Margaret kommen zur Welt, dann muss die junge Familie unverhofft und ungewollt die Hauptrolle spielen im Ringen mit Adolf Hitler.
Im Dezember 1936 dankt Edward VIII. ab, weil er die zweimal geschiedene US-Amerikanerin Wallis Simpson heiraten will. Sein Bruder Albert wird als Georg VI. gekrönt, das neue Königspaar steht plötzlich im Rampenlicht. Elizabeth zeigt ihren Charakter. "Eine stählerne Faust im Samthandschuh", beobachtet Lord Halifax, der damalige Außenminister.
Symbol britischer Zähigkeit
Während Exmonarch Edward Kontakte zu den Deutschen aufnimmt, im Glauben, ein Kompromiss mit dem Feind sei Englands Rettung, wird die spätere Queen Mum zum Symbol britischer Zähigkeit. Sicher, sie stellt sich demonstrativ mit Chamberlain auf den Balkon des Buckinghampalasts, als er das Münch- ner Abkommen unterschrieben hat und sich in der Illusion wiegt, Hitler gezügelt zu haben. Doch darüber reden die Briten heute nicht mehr. Sie denken an die Zeiten des deutschen Luftkriegs, als sie mit stoischer Würde über rauchende Trümmer stieg, um Ausgebombten in Londons East End Mut zuzusprechen.
Im September 1940, der Buckinghampalast wird getroffen, spricht die Königin einen Satz, den jedes Schulkind auswendig weiß: "Ich bin fast froh, dass wir bombardiert worden sind. Jetzt können wir den Leuten im East End in die Augen sehen." Sie soll mit den Kindern nach Kanada in Sicherheit gebracht werden. Aber sie bleibt. Als "Symbol für die Anständigkeit und den Mut unseres Landes" würdigt sie heute Premier Tony Blair.
Die zweite Hälfte ihres Lebens wird geprägt vom längsten Witwendasein, dass eine Exkönigin je erlebte. 1952 stirbt ihr Mann an Lungenkrebs. Ihre älteste Tochter Elizabeth schwingt fortan an das Zepter. Die Mutter gibt Ratschläge, ansonsten frönt sie ihren Leidenschaften: Pferderennen, Corgis, Angeln, Gin.
Für ihre Landsleute war die alte Lady mit Abstand die Beliebteste unter den Royals. Skandalgeschichten prallen folgenlos an ihr ab. Insider behaupten, sie habe noch lange Trinksprüche auf die Apartheid in Südafrika ausgebracht. Was sie wirklich dachte, wusste niemand. Ihr letztes Interview hatte sie 1922 gegeben. Am 9. April wird sie in Windsor Castle beigesetzt. (DER STANDARD, Printausgabe 02.04.2002)