Systematisch weitet Israel seine Offensive im Westjordanland aus: Mit Jenin wurde am Mittwoch die fünfte palästinensische Stadt besetzt, die Panzer rückten auch in das Städtchen Salfit bei Nablus und in einige Dörfer in der Autonomiezone ein. Dramatisch wurde zugleich die Konfrontation rund um eine der heiligsten Stätten der Christenheit.

120, nach anderen Angaben sogar mehr als 200 palästinensische Polizisten und "Fatah"-Milizionäre hatten sich auf der Flucht vor den überlegenen israelischen Truppen mit Waffengewalt den Einlass in die Geburtskirche im Herzen von Bethlehem erzwungen. Die Israelis umstellten den Bereich und forderten die palästinensischen Kämpfer auf, sich zu ergeben - in die Verhandlungen waren auch Vertreter des Vatikans eingeschaltet.


Vermittlung abgewehrt

Rund zwanzig der Palästinenser sollen verwundet gewesen sein, auch Geistliche und andere Zivilisten waren in der Kirche eingeschlossen, die über der Stelle errichtet ist, wo der Überlieferung nach Jesus geboren wurde. Ähnliche Szenen spielten sich um die syrisch-orthodoxe und die evangelisch-lutherische Kirche ab, wo sich ebenfalls Dutzende militante Palästinenser verschanzt haben sollen. In der Santa-Maria-Kirche hatten Palästinenser nach israelischen Angaben zu ihrem eigenen Schutz Priester und Nonnen als Geiseln festgehalten.

Repräsentanten der örtlichen christlichen Kirchen, unter ihnen der Lateinische Patriarch Michel Sabbah, versuchten am Mittwoch Vormittag, Bethlehem zu erreichen, um eine "Botschaft des Friedens" zu überbringen, wurden aber an einem Kontrollpunkt am Südrand Jerusalems aufgehalten. So wie zuvor Ramallah ist auch Bethlehem zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Auch Journalisten ist der Aufenthalt in diesen Städten prinzipiell verboten. Der Vatikan und die israelische Regierung sollen in intensiven Verhandlungen stehen.

So wie in den Kirchen in Bethlehem hatten zuvor auch im Hauptquartier Jibril Rajoubs, des Sicherheitschefs für das Westjordanland, bewaffnete Palästinenser Unterschlupf gefunden - das Gebäude in Betunia bei Ramallah, durch den israelischen Beschuss aus Panzern und Hubschraubern schwer beschädigt und teilweise ausgebrannt, wurde am Mittwoch von Soldaten durchkämmt auf der Suche nach verbliebenen Milizionären und Munition. Tags zuvor hatten sich dort mindestens 200 Palästinenser den Israelis ergeben. Rajoub, von extremistischen Gruppen wegen der "Kapitulation" schwer kritisiert, rechtfertigte sich damit, dass die Eingeschlossenen "keine einzige Kugel" und "keine Flasche Wasser" mehr gehabt hätten.


Zivilisten getötet

Bei Gefechten in der ersten Phase des Vorstoßes nach Jenin sollen mindestens drei Palästinenser getötet worden sein, darunter zwei bekannte Angehörige der "Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden". Zudem kamen nach palästinensischen Angaben eine 27-jährige Frau, eine 30 Jahre alte Ärztin und ein 13-jähriger Bub ums Leben.

Über die Frage, ob Palästinenserchef Yassir Arafat tatsächlich ins "Exil" geht, wurde indes kaum noch geredet. Das israelische Fernsehen hatte am Dienstagabend einen kurzen Dialog zwischen Premier Ariel Sharon und Armeechef Shaul Mofaz ausgestrahlt, den das Mikrofon offenbar ohne Wissen der beiden eingefangen hatte. "Man muss ihn hinauswerfen", hatte Mofas, offenbar auf Arafat gemünzt, geraten. "Ich weiß", war Sharons etwas abweisende Antwort. "Das ist eine Gelegenheit, die nicht wiederkommt", setzte Mofaz nach.

(DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2002)