Der Sozialstaat hat einen prominenten Platz auf der politischen Tagesordnung. Erst kürzlich wurde die Bevölkerung mit einem sozialen Treffsicherheitspaket beschenkt. Inhalt: Ambulanzgebühr, die Erhöhung der Selbstbehalte, die Reduzierung des Arbeitslosengeldes, Studiengebühren, Einsparungen bei Pensionen, Unfallrentenbesteuerung u.a.m. Ein „schlanker Staat“ ist die dezitierte Ansage. Konkret handelt es sich dabei um den Abbau des Sozialstaates.

Anliegen der InitiatorInnen des angelaufenen Sozialstaatsvolksbegehrens ist es, diesen Rückbau zu thematisieren, den neoliberalen sozialpolitischen Systemwechsel zu verdeutlichen, umfassende Reformoptionen ins politische Gespräch zu bringen. Denn zweifelsohne ist Reformbedarf gegeben – die Arbeitswelt erodiert ebenso drastisch wie die familiären Beziehungen. Menschen mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen müssen sozial abgesichert werden, Frauen brauchen eine eigenständige Absicherung im Alter.

Das Sozialstaatsvolksbegehren will einen Sozialstaat im Sinne sozialer Sicherheit für alle, sozialen Ausgleichs und Chancengleichheit. Konkret wird die Beibehaltung der öffentlichen Sozialversicherungssysteme, eine Sozialverträglichkeitsprüfung aller Gesetze und die Umstellung der Finanzierung in Richtung Wertschöfpungsabgabe gefordert. Komplexe Themen also, die eingehender Diskussion bedürfen.

Denn dass eine Umstellung von der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht u.a. bedeutet, dass Frauen höhere Versicherungsbeiträge als Männer bezahlen, oder dass damit die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Studierenden auf dem Spiel steht, liegt zwar auf der Hand, muß aber erst formuliert werden.

Konstruktive Umbauszenarien zu debattieren, erweist sich in der österreichischen politischen Kultur als schwieriges Unterfangen. Denn diese politische Kultur der Auseinandersetzung orientiert sich einseitig an politischen Parteien und ihren Eliten. Emotionalisierung und Personalisierung ist gefordert, inhaltliche Themen in ihren oft nicht einfachen Zusammenhängen aufzurollen, gehört nicht dazu.

(Fast) niemand ist gegen den Sozialstaat

Entsprechend dieser Logik wird der Sozialstaatsdiskussion begegnet. (Fast) niemand tritt gegen den Sozialstaat auf. Obwohl politische Entscheidungen gegen den Sozialstaat kontinuierlich gefällt werden, bleiben die inhaltlichen Gegenargumente aus. Der Neoliberalismus entsagt sich der politischen Auseinandersetzung, er setzt sich einfach durch. Die Debatte wird höchstens mit formalen Hinweisen abgeblockt. So z.B: Die Verfassung sei nicht das richtige Instrument, sie dürfe nicht überbordet werden (Warum eigentlich gerade beim Sozialstaat nicht, wo doch auch die Schulgesetze oder die Werkvertragsregelung im Verfassungsrang stehen?). Immer häufiger ist die persönliche Diffamierung als Gegenargument angesagt. Nach dem Motto: Die InitiatorInnen meinten es ja gut, sie wären eine Art Gutmenschen, die aber Irrtümern unterliegen würden.

Schlagkräftigstes Gegenargument aber: das Volksbegehren werde von der Opposition vereinnahmt. Dies ist besonders interessant, da wir uns doch in einer politischen Kultur befinden, bei der nahezu ausschließlich politische Parteien oder Großorganisationen Zugang zur (medialen) Öffentlichkeit haben, nicht aber die Zivilgesellschaft. In diesem Umfeld dem überparteilichen Volksbegehren die Vereinnahmung durch die Opposition vorzuwerfen, ist als eine Strategie zu identifizieren, weiter ungestört Sozialabbau zu betreiben und die notwendigen Reformen für eine solidarische Gesellschaft nicht durchzuführen.

NACHLESE
--> Wider die freie Meinung – 18.3.2002
--> Geburtenrate eine Wohlstandsfrage? – 25.02.2002