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"In den zwei ersten Kursen haben wir die Schlupflöcher in den Netzwerken erkundet und die Schlüssel manipuliert. Heute lernen wir, wie man Passwörter knackt, blockierte Systeme umgeht und sich in Webmails einliest." Sachlich verkündet der junge Informatiker Clad Strife - seinen wahren Namen verschweigt der junge Franzose - das Programm des bevorstehenden Lehrganges. Wir sind im zweiten Anfängerkurs der "HackAdemy", der ersten Schule für "pirates informatiques". Zu Deutsch: Computerhacker. Im heruntergekommenen Hinterhof des Pariser Szenequartiers Bastille liegend, mit einem augenzwinkernden Totenkopf dekoriert, hat das neuartige Lehrinstitut im vergangenen Oktober seinen Betrieb aufgenommen und über 500 Amateure, Fortgeschrittene und Experten ausgebildet. Angesichts der großen Nachfrage muss es laut Geschäftsleiter Billy Dub bereits Interessenten abweisen. Der 22-jährige Informatikstudent Mehdi sagt, warum: "Hier lernt man, was andere Informatikschulen in keinem Programm führen." Der Anfängerkurs, den Mehdi mit sieben anderen Teilnehmern belegt, ist ausgebucht. "Es ist ganz einfach"

Im Ausbildungslokal mit dem Charme eines Abstellraumes klicken sie eifrig vor ihrem Bildschirm und machen sich Notizen, während Clad Strife das Passwort-Knacken am Beispiel der Microsoft-Oberfläche Windows erklärt. Und vormacht. "Es ist ganz einfach", sagt er, im Scheinwerferkegel eines Bildschirmprojektors stehend. Mit atemberaubender Geschwindigkeit lässt er seinen Cursor durch die Windows-Dateien flitzen: "An dieser Stelle löschen wir die pwl-Datei; das Passwort ist weg. Seid ihr mitgekommen?" Mehdi hat einen Einwand: "Ohne Passwort kommt man gar nicht in das System, um es löschen zu können!" Clad Strife hat auch dafür eine Antwort parat. Einen Schraubenzieher. Mit ihm öffnet er den PC und entnimmt ihm eine kleine Speicher-Batterie. "Voilà. Passwort überflüssig."

Anleitung zum Informatik-Einbruch? Nicht doch. "Wir geben nur Hilfe zur Selbsthilfe", erwidert Billy Dub. "Wir zeigen den Kursteilnehmern, wie sie sich gegen Eindringlinge in ihren PC schützen können." Schüler Jean-Luc, 15-jährig und wie aus einem Harry-Potter-Buch gepellt, nickt ungefragt: "Ich will nicht das Hacken lernen, sondern wie man sich dagegen schützt." Lage an der weltweiten Hackerfront ist dramatisch

Billy Dub holt derweil Luft zu einer generellen Lagebeurteilung. Die Lage an der weltweiten Hackerfront sei dramatisch. Unvorstellbar. Es gebe heute jede Menge von unlauteren Firmen, Hackern, Onlinepiraten, die in betriebliche oder private Computersysteme eindrängen. Schlimmer noch: Im Zuge des 11. September erlaube es die US-Administration dem FBI, ohne die bisher nötige Genehmigung eines Richters die Computersphäre von Haushalten oder Firmen zu verletzen. Der US-Geheimdienst habe zugegeben, an der Entwicklung der Software "Magic Lantern" zu arbeiten, die sogar das Ausspionieren chiffrierter E-Mails erlaube.

Gegen solch böse Hacker gibt es nur eins: Die HackAdemy. "Jetzt eine kleine Demonstration, wie man Webmails anderer Leute öffnet", doziert Clad Strife. Er macht vor, wie die über das World Wide Web zirkulierenden E-Mail-Dienste (hotmail, yahoo u. a.) über deren Skripts zu knacken sind. "Und die Besitzer der E-Mail-Adresse merken es nicht einmal. Es sei denn, sie schauen selbst in ihrem Javaskript nach - aber wer tut das schon?" "Wir machen nichts Gesetzwidriges"

"Wir machen nichts Gesetzwidriges, wir geben bloß Computertipps. Was die Kursteilnehmer damit machen, geht uns nichts an. Zudem nennen wir immer die juristischen Grenzen, und wir warnen die Schüler, dass das ,Hacken' gefährlich sein kann."

Bis heute wird der Unterricht von den französischen Behörden jedenfalls geduldet, vielleicht, weil die HackAdemiker offen operieren und damit besser kontrollierbar sind. Ob das Lehrinstitut überwacht wird, will oder kann Billy indes nicht bestätigen. "Der Geheimdienst tut seine Arbeit", meint der Geschäftsleiter viel sagend. Er weiß nur, dass schon zwei Pariser Informatikpolizisten sowie ein Vertreter des französischen Verteidigungsministeriums einen Kurs zu 80 Euro für zwei je vierstündige Lektionen absolviert haben. In aller Offenheit.

Europäer und Amerikaner, bei denen diese Art von Lehrgängen nicht erlaubt wäre, interessieren sich zunehmend für eine Teilnahme, schrecken aber meist vor dem französischen Unterricht zurück. (Stefan Brändle aus Paris, Der Standard, Printausgabe, 04.04.2002)