Mailänder Anti-Korruptions-Team verliert seinen Oberstaatsanwalt
Francesco Saverio Borrelli tritt in den Ruhestand - Neue Karriere als Oppositionspolitiker?
Redaktion
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Rom - Zehn Jahre nach Beginn der Anti-Korruptions-Offensive
"Saubere Hände" geht in Mailand eine Epoche zu Ende: Oberstaatsanwalt
Francesco Saverio Borrelli, Hauptfigur im Kampf gegen die
Bestechlichkeit, der in den 90-er Jahren Italien gewaltig erschüttert
hat, geht in Pension. Borrelli, der in jüngster Zeit die Mailänder
Richter vor Attacken des Regierungschefs Silvio Berlusconi verteidigt
hat, gilt als prestigereichster Vertreter einer Generation von
Richtern und Staatsanwälten, die sich stark für die politische
Moralisierung Italiens eingesetzt haben.
Unter Borrellis Führung begann im Februar 1992 mit der Verhaftung
des Mailänder Stadtratsmitglieds Mario Chiesa eine in Italien
beispiellose Offensive gegen die landesweite Plage der Korruption.
Die mit dem Namen "Mani Pulite" weltweit bekannt gewordene
Justizaktion ist in Italien zum Symbol des tiefen Erneuerungsdrangs
und Moralisierungswillens geworden, die das Land in diesen zehn
Jahren stark verändert haben.
"Saubere Hände"
Dank des unermüdlichen Einsatzes Borrellis und seines Teams
junger Staatsanwälte wurde nicht nur eine morsche politische und
wirtschaftliche Führungselite weggefegt. Die Aktion "Saubere Hände"
hat in Italien die Tore einer vollkommen neuen politischen Phase
eröffnet. Das Mailänder Staatsanwälte-Pool konnte einmalige Erfolge
im Kampf gegen die Bestechlichkeit verbuchen. Mehr als 3.000
Lokalverwalter, Unternehmer und hochrangige Politiker sind seit 1992
wegen aktiver und passiver Korruption sowie wegen illegaler
Parteienfinanzierung in das Netz der Justiz geraten.
Allerdings ist der einstmals gefeierte Oberstaatsanwalt seit dem
Regierungsantritt des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im
vergangenen Juni zur Zielscheibe heftiger politischer Attacken
geworden. Kein Tag vergeht, ohne dass Berlusconi, der immer noch
Angeklagter in mehreren Strafprozessen ist, behauptet, "rote Richter"
würden ihn politisch verfolgen. Die Ermittlungen gegen ihn seien ein
Komplott einiger von der Linken manipulierte Richter, die ihn stürzen
wollten. Regierungspolitiker sprechen von einem "Staatsstreich der
Richter".
"Mit Einschüchterungen, Verzögerungs- und Sabotagetaktik will die
Politik Prozesse gegen Berlusconi zu Fall bringen", klagte Borrelli,
der die Richter wiederholt zum Widerstand aufrief. Sein Appell gegen
die Eingriffe der Regierung Berlusconi wurden von der oppositionellen
Mitte-Links-Allianz mit Enthusiasmus begrüßt. Die Opposition hat die
Mailänder Richter bisher stets vor Berlusconis Attacken in Schutz
genommen. Nicht auszuschließen ist, dass Borrelli nach der
Pensionierung eine neue Karriere in der Politik beginnen könnte. In
Oppositionskreisen wartet man mit offenen Armen auf ihn.
Als Politiker könnte sich Borrelli vor allem der Erneuerung des
Justizwesens widmen, für die er als Oberstaatsanwalt wiederholt
plädiert hat. Die verheerende Ineffizienz des italienischen
Justizwesens macht nämlich den Ermittlern schwer zu schaffen. Über 60
Prozent der Korruptionsprozesse könnten demnächst wegen Verjährung
eingestellt werden. Hunderte der insgesamt 3.200 Personen, die seit
1992 in den Sog der Korruptionsermittlungen geraten sind, würden in
diesem Fall wegen des Schneckentempos der italienischen Justiz
ungestraft davonkommen, warnte Borrelli. (APA)
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