Zürich/Frankfurt/Paris/Rom - Das von US-Präsident George W. Bush angekündigte größere Engagement der Amerikaner im Nahen Osten beschäftigt am Freitag die Kommentatoren zahlreicher europäischer Blätter."Neue Zürcher Zeitung": "Nach einem langen Schweigen und Verharren bei der Ansicht, die verfeindeten Parteien im Nahen Osten müssten selbst zum Frieden finden, hat der amerikanische Präsident die freiwillige Selbstbeschränkung aufgegeben (...) Nun scheint sich in der Übernahme größerer Verantwortung ein Wandel in Richtung der von Bush senior geführten Nahost-Politik abzuzeichnen. Ohne Erwähnung eines zeitlichen Ablaufs forderte Bush Tel Aviv zur Einstellung der Vorstöße in palästinensisches Land und zum Rückzug aus den zurzeit besetzten Städten auf. (...) Bush stellte seine Politik unter das Ziel eines Friedens für alle Kinder Abrahams; er liegt noch in weiter Ferne..." "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Mit den Worten 'Frieden ist möglich' erinnerte Bush daran, dass auch andere komplizierte internationale Konflikte in den vergangenen Jahren gelöst werden konnten, und dass in historisch besonders bemerkenswerten Fällen wie Deutschland, Japan und zuletzt Russland aus ehemaligen Gegnern 'gute Freunde' Amerikas geworden seien. Bush bemühte sich insgesamt um einen sorgfältig ausgewogenen Ansatz, als er sagte, dass die Israelis jetzt militärisch einen Schritt zurück und die Palästinenser und die übrigen führenden arabischen Politiker einen politischen Schritt nach vorn tun müssten. Die Welt erwarte von beiden Konfliktparteien einen Waffenstillstand und von den Arabern mehr Kooperation bei der Eindämmung des Terrorismus." "Liberation" (Paris): "Als man schon am Verzweifeln war, ist aus Washington ein Hoffnungszeichen gekommen. 'Es ist genug!', verteilte George W. Bush, sein Mitgefühl auf zwei Völker nahezu gleich, die sich gegenseitig die Kehle abschnüren. Ein Ruf, der ohne Zweifel weniger spontan erfolgt, als man glauben könnte, wenn man bedenkt, dass die Verschlimmerung der Situation im Nahen Osten die Anti-Sadam-Hussein-Operation lähmt, die Bush sich vorgenommen hat, zu Ende zu führen. (...) Ein Ruf, der auch endlich einen Ausweg aus der unverantwortlichen Gleichgültigkeit aufzeigen sollte, die der Präsident der führenden Weltmacht bisher an den Tag legte." "Le Soir" (Brüssel): "Der Präsident, der seine Worte wägt, hat nicht verlangt, dass der israelische Rückzug unverzüglich sein muss, und das Datum für die Reise von Colin Powell bleibt unbestimmt, so dass er wohl nicht vor seinem Europabesuch fahren wird. Kritiker unterstreichen, dass der israelischen Armee damit mehrere Tage Zeit gelassen werden. George Bush hat aber gefordert, dass Israel die Vorstöße beendet und damit beginnt, die Truppen abzuziehen. Darüber hinaus hat er die Position aller seiner Vorgänger bekräftigt: Die Errichtung von Siedlungen in den besetzten Gebieten muss aufhören. Er hat hinzugefügt, dass Israel die Würde der Palästinenser respektieren und die Unschuldigen von Terroristen unterscheiden muss." "La Stampa" (Turin): "Bush spricht mit klarer Stimme und verlangt von allen Beteiligen, einen Schritt zurückzutreten. Israel muss sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen und den Ausbau der Siedlungen einstellen. Die Palästinenser müssen mit den Kamikaze-Attentaten aufhören und sich einen neuen Führer suchen, weil Arafat durch den Terrorismus kompromittiert sei. Und die arabischen Staaten müssen gemeinsam mit Israel den Weg des Friedens beschreiten, indem sie den saudiarabischen Plan akzeptieren. Iran, Irak und Syrien müssen aufhören, Waffen und Geld zu liefern und den Terrorismus zu unterstützen. Sonst fallen sie unter die 'Bush-Doktrin', die nicht nur für Bin Laden und die Taliban gilt." "Il Messaggero" (Rom): "Und am siebenten Tag erwacht die Großmacht. Zum Erwachen brachten sie ganz sicher die internationale Kritik, die Anklagen der europäischen und arabischen Verbündeten, die Vorwürfe in den Zeitungen sowie die Sorge der Vereinten Nationen, dass sich der Konflikt wie ein Ölteppich ausweiten könnte. (...) Und so hat George W. Bush es akzeptiert, das zu tun, was er seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr und zwei Monaten zu verhindern versuchte, nämlich zwischen Israelis und Palästinensern ernsthaft zu vermitteln. Der erste Schritt, zumindest der erste sichtbare Schritt, dieser neuen Politik ist die für nächste Woche angekündigte Reise von US-Außenminister Colin Powell in die Region." (APA)