An den nächsten Monaten wird die "Alte Schmiede" in Wien österreichische Kleinverlage vorstellen. DER STANDARD wird dies mit Rezensionen begleiten. Heute: Die gute alte Zeit von Günter Brus im Jung & Jung-Verlag, kommenden Montag in der "Schmiede" (19.00).Es ist die Selbstbiographie eines sehr bedeutenden Malers, der schreibend beweist, warum er kein Dichter wurde. "Memoiren sind wirkliche Selbstentleibungen", schreibt Brus zur Frontispiz-Zeichnung, in der er - wie oft in seinem Werk - die Zeichensysteme von Schrift und Bild zusammenbringt. Hier schreibt er die Geschichte der eigenen Bild-Werdung: Im Anschlussjahr 1938 in Ardning (Ennstal) geboren, vom "Chefvater" aber immer wieder "geraubt" und ins südsteirische Mureck verschleppt, ist es eine Geschichte der Spannungen und Verletzungen: Vom Ennstal-Balkon aus im großväterlichen Fernrohr im Krieg "rennende und brennende Menschen, Flammen- und Rauchsäulen", im Moor bei Ardning "die Hoffnung, einen noch um Hilfe schreienden Schädel an den Ohren zu fassen zu bekommen", zugleich selbst zwischen Enns und Südsteiermark: "Ich kam mir vor wie ein halbiertes Schlachtvieh". Eine Geschichte der Zerstörungen als Selbsterlebensbeschreibung des Aktionisten: Seine Mutter hat einen Liebhaber, der ihr zu Weihnachten regelmäßig ein Ölgemälde mit Kamelien schenkte, bis einmal das Messer des eifersüchtigen Vaters das Geschenkpapier und die Leinwand durchbohrt. Günter Brus selbst fantasierte als Kind "Zugszusammentöße, wo ich mich dann im flammenden und krachenden Inferno betätigen konnte" und "klopfte im Dachboden mir zum Heil meinen nackten Leib ab, um eine dumpfe Musik zu komponieren: eine Akupressur-Sonate." Dazu entdeckt er beim Spielen im Kamin versteckte Porno-Bilder, bekennt aber auch eine große, mit der Verweigerung von Nachkommenschaft verknüpfte, Sexualangst. Überhaupt: Fleisch und Angst - in der Schlachthalle des Fleischhackers Schmiermaul sieht er, zu jung für eine HJ-Zwangsverpflichtung, "wie die Schlagbolzen in das Gestirn der Stiere drangen, wie diese auf den zugebluteten Beton stürzten". Interessant auch die äußere Entwicklung: Gerne hätten die Eltern seine Begabung gefördert - als Schaufensterdekorateur. Es ist ein eckiger Lebenslauf, der den Durchbruch der eigenen Malkunst zeigt. Weniger den der Dichtkunst: Maler haben ein anderes Verhältnis zur Sprache. Ein stark bildhaftes, unmittelbares, oft auch umgangssprachliches, weniger ein theoretisch-distanziertes. So kommt es zu nicht immer weiter führenden Bildbrüchen und Wortspielen ("wir machten gute Mienen zu bösen Minen"; "Die Mannerschnitten waren unsere Wunderwaffel" usw.). Das sind Stellen, die durch die viel strengere Ästhetik der beigegebenen Brus-Zeichnungen, durch deren Dichte und kompositorische Genauigkeit, konterkariert werden. Dennoch: Lesenswert. (Von Richard Reichensperger - Album, 6.4.2002)