Es sei Zeit, dass endlich einmal ein Freiheitlicher österreichisches Mitglied der EU-Kommission in Brüssel werde, denn Franz Fischler habe die Bauern "verraten" und überhaupt müsste die FPÖ viel mehr Einfluss auf die Außenpolitik bekommen und zum Beispiel eine Europaministerin Riess-Passer wäre doch eine "charmante Idee". Sagte Vizekanzlerin Riess-Passer.

So viel an gefährlicher Drohung hat man noch selten aus freiheitlichem Mund gehört. Frau Riess-Passer möchte also die geballte Inkompetenz des FPÖ-Personals von Österreich auf Europa übertragen. Wer erinnert sich nicht an die Giganten, mit denen die Bundesregierung kurzfristig beglückt wurden? Namen wie Sickl (Sozialministerin), Schmid (Infrastrukturminister I), Forstinger (Infrastruktur II), Krüger (24 Tage Justizminister) sind stolze Zeugnisse freiheitlicher Regierungskunst. Mit den in der Regierung verbliebenen (Haupt, Böhmdorfer) ist es nicht viel besser.

Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der Star der blauen Riege, bekam soeben vom früheren ÖVP-Experten Johannes Ditz ("Schüssel-Ditz-Kurs", schon vergessen?) in einem Gastkommentar in der Presse die Wahrheit hineingesagt: Die Wende in der Steuerpolitik geht völlig in die falsche Richtung.

Und vielleicht glauben es die Befürworter der Wende endlich, wenn es ihnen ein ÖVP-ler in einer bürgerlichen Zeitung sagt: Grasser fährt derzeit eine nie dagewesene "Aktion scharf" bei der Steuereintreibung, die zielgenau jene Klientel trifft, die am ehesten für die "Wende" wäre: Selbstständige, Freiberufler usw.

Was Frau Riess-Passer betrifft: Ihre Hauptaufgabe in der Regierung wäre es, jene Verwaltungsreform durchzuführen, mit der die versprochene "ausgabenseitige Sanierung" des Budgets allein zu bewerkstelligen ist. Es hat eine (teure) Aktion "Pensionierung mit 55" für Beamte gegeben. Sonst nicht viel. Frau Riess-Passer dürfte inzwischen begriffen haben, wie mühevoll und wie arm an Photo-Opportunities ihre eigentliche Aufgabenstellung ist und möchte daher in Richtung Europaministerin entkommen. Oder gleich in Richtung Brüssel als EU-Kommissarin.

Fischlers Periode läuft zwar erst 2005 aus und Frau Riess-Passer wird nicht wirklich behaupten wollen, sie hätte sein Wissen über die Landwirtschaft und vor allem über das, was die EU ist; aber vielleicht rechnet sie sich im Zuge eines komplizierten Abtausches irgendwelche Chancen aus. Jedenfalls ist eine neue innerkoalitionäre Front aufgemacht: Die FPÖ will jetzt auch noch direkten Einfluss auf die EU-Politik.

Je klarer die mangelnden personellen Ressourcen der FPÖ zutage treten, desto mehr insistiert sie auf ihrem Anteil am Kuchen. Wie niedrig die Maßstäbe (und der Widerstand) schon geworden sind, ist ablesbar daran, dass etwa ein Christian Wehrschütz, der als junger Aula-Redakteur ehrfurchtsvolle Interviews mit dem Holocaust-Leugner David Irving führte, auch später einschlägig auffiel und überdies Reserveoffizier des Heeresnachrichtenames ist, jetzt von ORF-Generaldirektorin Lindner offenbar als Leiter einer Osteuropa-Redaktion vorgesehen ist: mehr Lebensraum im Osten für FPÖ-Vertrauensleute.

Frau Riess-Passer ist intelligent genug, um diese fatale Kompetenzschwäche der FPÖ zu erkennen; sie antwortet aber nicht mit dem Versuch, die personelle Basis der FPÖ jenseits von Unbedarften, Opportunisten und Rechtsauslegern zu verbessern - sondern so, wie sie es im Schulungsseminar gelernt hat: Wenn du in der Bredouille bist, attackieren! Sie liefert damit einen weiteren Beweis für die strukturelle Regierungsunfähigkeit ihrer Partei.
hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 9.4.2002)