Zwei Trends wollten Beobachter der europäischen Szene nach den Wahlen in Portugal unterstützt sehen. Erstens jenen zu einer Ablöse sozialdemokratischer Regierungen durch rechtsgerichtete Konstellationen und zweitens den zu einer weiteren Stärkung der Rechtsradikalen und Rechtspopulisten.

Beides hat in Ungarn am Sonntag nicht stattgefunden. Über siebzig Prozent der Wahlberechtigten sind beim postkommunistischen Nachbarn zur Wahl gegangen, entgegen den Umfragen haben sie die Oppositionsparteien in der ersten Runde in Front gebracht. Und vor allem: Die offen antisemitische und rassistische Czurka-Partei wurde unter die 5-Prozent-Hürde gedrückt.

Es ist durchaus möglich, dass der bisherige Ministerpräsident Viktor Orbán in vierzehn Tagen trotzdem die relative Mehrheit an Parlamentssitzen erzielt. Zur Fortsetzung seiner Regierung wird das nicht reichen. Denn einen Koalitionspartner haben nur die Sozialisten, die unter einem parteilosen Banker, einer Art ungarischem Vranitzky, mit den Liberaldemokraten eine Achse bilden können.

Orbán, der in Ungarn eine Art CSU errichtet hat und mithilfe des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber auch auf absolutem Mehrheitskurs war, hat mit seiner eklatant rechtsgerichteten Politik etwas Gutes bewirkt. Er hat den Rechtsradikalen so viele Wähler weggenommen, dass diese es (und das war ja seinerzeit das Konzept von Franz Josef Strauß) nicht mehr bis ins Parlament schafften. Für den Machterhalt freilich hat er zu viele an sich gezogen, für die internationale Reputation Ungarns gerade genug.

Die extremistische Bedrohung bleibt bestehen: Politik und Medien sind von einem Geist der Verharmlosung, ja sogar Billigung rechtsradikaler Methoden durchsetzt. Man wird sie nur langsam, wenn überhaupt, zurückdrängen können, weil sie einer Grundtendenz der ideologischen Landschaft Mitteleuropas entsprechen. Von Miskolc bis Mailand und von Krakau bis Florenz kippt der Patriotismus immer wieder um in Nationalismus und Fremdenneid.

Für Orbán mag es bitter sein, gerade jetzt sein Land nicht höchstpersönlich in die EU führen zu können. Aber möglicherweise war er zu abgehoben: neoliberal infiziert und vom westlich-ökonomischen Jetset fasziniert, um ernst zu nehmen, dass es zwei Ungarn gibt. Jenes im Westen zu Österreich hin, mit der Hauptstadt Budapest als internationalem Aushängeschild. Und das östliche Ungarn mit einer nach wie vor desolaten Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit, deren Realität und Auswirkungen auch in den Hinterhöfen und an der Peripherie der Metropole der Magyaren zu besichtigen sind. Hier liegt das größte Problem des Landes.

Ob das ungarische Ergebnis internationale Bedeutung hat, wird sich erst erweisen. Jedenfalls haben die großen Zeitungen der angelsächsischen Welt auf ihren ersten Seiten am Montag noch nichts über Ungarn berichtet - Zu exotisch? Zu wenige Faschisten? Zu ruhig?

Aber möglicherweise sind die Ungarn im Blick auf Prioritäten gar nicht so verschieden von anderen Völkern. Sie bevorzugen den Machtwechsel. Weshalb dieses Ergebnis im Blick auf die französischen Präsidentschaftswahlen, auf die tschechischen und slowakischen Parlamentswahlen und auf die Bundestagswahlen in Deutschland keine dauerhafte Präferenz für eines der großen europäischen Parteienlager signalisiert, sondern eine Neigung zu Alternativen.

Daher die vielleicht wichtigste Botschaft nach dem ersten Durchgang der Wahlen im west-östlichen Korridor: Ungarn ist nicht nur reif für Europa. Die Zahl der möglichen Argumente gegen die EU-Erweiterung ist weiter geschrumpft. Die Regierung Orbán hat die Beitrittsverhandlungen zügig geführt und sensible Fragen ohne falschen Stolz beantwortet. Sowohl die politischen Führungen als auch die Bevölkerung in Tschechien und in der Slowakei sind jetzt gefordert, ähnlich vorbildhaft zu agieren. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 9.4.2002)