Beim Wiener Opernball 2001 waren manche Demonstranten noch gut in Übung und viele Polizisten kooperativ im Austausch von Zärtlichkeiten. Wega-Inspektor L., ohne Ausrüstung nur die Hälfte seiner selbst, befand sich nach eigenen Angaben "vor Ort", als es geschah. ",Vor Ort' ist Norddeutsch. Bei uns heißt das ,an Ort und Stelle'", belehrt ihn der Richter. Egal, dort war er, als ein Wurfgeschoß auf seinem Helm zerschellte.

"Es war eine Glasflasche, aus drei Metern Entfernung", weiß der Angeklagte. "Ich bin kein Flaschenwerfer", antwortet der Richter, "aber normalerweise wirft man von weiter hinten." Egal, der Polizist wurde getroffen. "Ich hatte leider Gottes meine eigene Sicherheit vernachlässigt", merkt er selbstkritisch an.

"Was haben Sie gehört?", fragt der Richter. "Ein starkes Summgeräusch", erwidert der Beamte. Und weiter? - "Wie ich dann wieder den ersten Gedanken fassen konnte, hab' ich einen Demonstranten wahrgenommen, der durch sein Verhalten für mich quasi der Flaschenwerfer war", sagt er. Unmittelbar danach muss der Polizist allerdings noch einen zweiten, widersprüchlichen Gedanken gefasst haben. Denn vor einer Woche sagte er als Zeuge gegen einen wegen "Widerstandes" angeklagten Studenten aus: "Auf- grund seines Verhaltens hat sich für mich der Verdacht erhärtet, dass er der Flaschenwerfer war." Egal, anderer Prozess - anderer Flaschenwerfer. Diesmal ein Werbegrafiker. "Ich bin dann leider Gottes zu ihm gelaufen und hab' ihm den Schlag mit dem E.S. versetzt", erzählt der Beamte. (E.S. heißt Einsatzstock. Gebräuchliche Produkte werden gerne abgekürzt.)

"Er hat eine gewisse Einwirkung gespürt und hat sich dann theatralisch fallen lassen", schildert der Polizist. Die Szene ist auf Video dokumentiert und wurde im ORF gesendet. Der Grafiker erlitt einen Daumenbruch und eine Brustkorbprellung. Egal. Der Polizist wird freigesprochen. "Es steht fest, dass der Mann die Verletzungen hat, es steht aber nicht fest, dass er sie von Ihnen hat", erklärt ihm der Richter. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 10. 4.2002)