Deutschland hat ein neues Wahlkampfthema: Die Kirch-Pleite. Würden nicht in 23 Wochen die Bürger zu den Urnen gerufen, hätte es keine Sondersitzung des bayerischen Landtages am Dienstag gegeben, die nur ein Podium für gegenseitige Schuldzuweisungen war. Zu den Kuriositäten gehört auch die Forderung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel (SPD) nach einem Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag, die von den eigenen Parteifreunden zurückgewiesen wurde."Wirtschaftliche Inkompetenz" Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder seinem Herausforderer Edmund Stoiber "wirtschaftliche Inkompetenz" vorwirft, ist zwar verständlich, aber kurzsichtig. Zwar trägt die bayerische Regierung beträchtliche Mitschuld an der größten Nachkriegspleite in der Bundesrepublik. Denn das halbe Kabinett saß in den Aufsichtsgremien der halbstaatlichen Bayerischen Landesbank, die mit zwei Milliarden Euro größter Kreditgeber Kirchs war. Als der Konzern schon Probleme hatte, seine Rechnungen zu begleichen, wurde von der Landesbank noch eine weitere Finanzspritze mit Steuermitteln für die Rechte an den Formel-1-Übertragungen zur Verfügung gestellt. Stoiber wird nun Schwierigkeiten haben, Bayern im Wahlkampf wie geplant als wirtschaftliches Erfolgsmodell für das gesamte Bundesgebiet anzupreisen, zumal Kirch kein Einzelfall ist. Nach dem Unterhaltungselektronikhersteller Schneider und dem Flugzeugbauer Fairchild Dornier ist dies bereits die dritte Firmenpleite in Bayern in diesem Jahr, die überregional Schlagzeilen produziert. Der Retter von Holzmann Aber Schröder sollte den Mund nicht so voll nehmen. Schließlich hat er mit der vor zweieinhalb Wochen angemeldeten Insolvenz des Holzmann-Konzerns selbst ein Debakel mitzuverantworten, das an der Wirtschaftskompetenz des "Genossen der Bosse" zweifeln lässt. Denn noch vor zwei Jahren ließ sich Schröder als Retter von Holzmann feiern. Dies war nur eine politisch erzwungene Verzögerung des Insolvenzverfahrens, die außerdem Arbeitsplätze bei mittelständischen Betrieben gekostet hat, da der Baukonzern - unterstützt durch die Politik - billigere Angebote vorlegen konnte. Was Kirch für Stoiber ist, ist Holzmann für Schröder. Deshalb ist es dreist, wenn Schröder nun sagt, was bei Holzmann richtig gewesen sei, gelte auch für Kirch. Die Bundesregierung sei bereit, bei der Rettung der 10.000 Arbeitsplätze der Kirch-Gruppe mitzuhelfen. Diese Aussage zeigt zum einen Schröders Populismus, zum anderen, dass er nichts gelernt hat. Kirch wie Holzmann sind Negativbeispiele für politischen Interventionismus. Schröder hat offensichtlich auch keine Lehre aus dem verheerenden Echo auf seinen Vorstoß gezogen, staatliche Bürgschaften für die Bundesligavereine bereitzustellen, damit die Gehälter der Fußballmillionäre auch nach einer Kirch-Pleite weiter bezahlt werden können. Offensichtlich ist Schröder der sonst so gerühmte politische Instinkt in der heißen Wahlkampfphase abhanden gekommen. "Mein Holzmann, dein Kirch" Stoiber, der sich lieber auf seine Berater verlässt, hat erst nach erfolgtem öffentlichem Aufschrei seine Meinung kundgetan, er sei gegen die staatlichen Bürgschaften. Jetzt ist er auch gegen Staatshilfe für die Kirch-Gruppe. Dass der bayerische Freistaat Leo Kirch jahrelang mit Steuermitteln hochgepäppelt hat, dagegen war er nicht. Es ist deshalb genauso unehrlich, wenn Stoiber nun so tut, als gehe ihn die Kirch-Pleite nichts an. Das gegenseitige Vorrechnen nach dem Motto "mein Holzmann, dein Kirch" zeigt vor allem eins: Der Kanzler und der Kanzlerkandidat sind sich ähnlicher, als sie im Wahlkampf glauben machen wollen. Wie Schröder richtig festgestellt hat, "läuft der Wahlkampf auf die Frage hinaus: Wollt ihr den oder den?" Spätestens seit der Kirch-Pleite steht fest: Beide kochen nur mit Wasser und mit ähnlichen Rezepten. Ob mit Schröder oder Stoiber an der Spitze der Deutschland AG, in der Wirtschaftspolitik wird sich nicht viel ändern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 10. April 2002)