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Wien - "Je größer, desto tot." Mit diesem Zynismus werden Medizinstudenten konfrontiert, wenn an der Uni erstmals von Tumoren in der Brust die Rede ist. "Es gibt eine Korrelation zwischen Größe und Überlebenschance, doch können wir sie im Einzelfall nie bestimmen", schwächt die Wiener Pathologin Angelika Reiner, Vizepräsidentin der österreichischen Gesellschaft für Erkrankungen der weiblichen Brust, etwa ab. Das Motto der Vorsorge lautet dennoch: den Brustkrebs so früh wie möglich erkennen, so klein wie möglich erwischen. Und da liegt Österreich zurück. Dieses Problem zeigt sich besonders bei so genannten In-situ-Karzinomen, kleinen Krebsvorstufen, die sich in den allermeisten Fällen weder von Patientinnen noch Gynäkologen ertasten lassen. Daher eignen sich diese Mikrokarzinome hervorragend, um die Qualität von bildgebenden Methoden zur Aufspürung von frühem Krebs (Mammografie) zu beurteilen. Und die ist schlecht: "Es werden viel zu wenige In-situ-Fälle entdeckt, gerade drei Prozent", alarmiert Epidemiologe Christian Vutuc vom Krebsforschungsinsitut der Uni Wien. Zum Vergleich: In den USA werden 16,4 Prozent der Karzinome in diesem frühen und noch kaum aggressiven Stadium erkannt. Selbst in Deutschland, wo die Brustkrebsprävention derzeit in der öffentlichen Kritik steht, werden 5,1 Prozent gefunden. Was die Vermutung zulässt, dass einige Frauen unter den zuletzt jährlich knapp 1700 Brustkrebstoten in Österreich heute noch leben könnten. Das legt auch ein Europavergleich der tendenziell sinkenden Sterberaten nahe: Österreich, wo jede fünfte Krebstote am Mammakarzinom starb, liegt nach Deutschland und Italien im unteren Mittelfeld. Was läuft falsch beim Bruströntgen? "In Österreich macht das jeder Radiologe, der glaubt, er kann das", ätzt Vutuc. "Wir haben hier noch keine flächendeckenden Qualitätsstandards." Auch nicht bei den Abläufen: Vutuc wünscht sich etwa eine Zweitbefundung der Brustbilder, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Was aber "hauptsächlich an der Organisation" scheitere: "In manchen Bezirken Österreichs gibt es nur einen Radiologen." In städtischen Ballungszentren wiederum mag es nicht an Radiologiepraxen mangeln, denen dafür aber an Auslastung. Der technische Fortschritt, etwa eine Zusatzbefundung mit Ultraschall, hält daher meist (zu) spät Einzug. Die Strahlenbelastung, selbst ein Krebsfaktor, bleibt somit mancherorts unnötig hoch. An mangelnden Empfehlungen zum Bruströntgen dürfte die geringe Trefferquote bei der Früherkennung nicht liegen. Stadt und Ärztekammer Wien etwa haben gerade eine Kampagne für dieses Screening laufen. Auch viele Radiologen raten dazu. Norbert Pateisky, Präsident der heimischen Gynäkologen, ortet gar eine "Tendenz zu schreiben: ,Kontrolle in einem Jahr-'" - obwohl die gynäkologischen Onkologen dies nur alle zwei Jahre empfehlen. "So machen sie das doppelte Geschäft", feixt Pateisky. Doch auch diese Richtlinie ist wissenschaftlich nicht gedeckt. Und schon gar nicht ab dem 40. Lebensjahr, wie darin empfohlen. "Das marktschreierische Pushen von Screenings bei jungen Frauen kann man wissenschaftlich nicht unterstützen", schimpft Heinz Ludwig, Onkologe am Wiener Wilhelminenspital. Denn dass "es damit gelingt, die Mortalität zu reduzieren, muss erst gezeigt werden." Außerdem sei das Brustgewebe von Frauen bis mindestens 50 derart dicht, dass es bei den Mammografien noch häufiger zu falschem Alarm komme als ohnedies, warnt Reiner, die am Wiener Donauspital Brustgewebe auf Tumoren untersucht. "Was glauben Sie, wie es gesunden Frauen geht, wenn ihr Radiologe falschen Verdacht auf Brustkrebs äußert?" Für die Pathologin machen Screenings erst ab 50 Jahren wirklich Sinn. Wenn auch die Zahl von Patientinnen jünger als 40 international leicht ansteigt, zeigen sich doch die meisten Fälle mit 65 Jahren. Doch dann, wenn Frauen mit zunehmendem Alter in die echte Risikogruppe kommen, pfeifen immer mehr auf die Mammografie - etwa wenn sie schon dreimal dem Laborbefund nach einer Biopsie entgegengezittert haben und dieser dreimal negativ war. "Das tu' ich mir nicht an", hört Ludwig immer wieder von Patientinnen. Angemessene Qualität der Screenings liege nur vor, erklärt Reiner, wenn maximal ein Drittel der von Radiologen als Verdacht geäußerten Fälle nach Gewebeuntersuchungen gutartig sind. Seien weniger als zwei Drittel bösartig, müsse die Trefferquote erhöht werden. Eventuell durch moderne Röntgengeräte. "Im Einzugsgebiet des Donauspitals können wir nur zwischen der Hälfte und zwei Dritteln der Verdachtsfälle als tatsächlich bösartig diagnostizieren." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.4.2002)