Caracas/Washington - Nach einer gewaltsam niedergeschlagenen Massendemonstration in Venezuela haben die Streitkräfte Staatschef Hugo Chavez zum Rücktritt gezwungen und in eine Kaserne gebracht. Die neuen Machthaber, an ihrer Spitze Arbeitgeberpräsident Pedro Carmona, kündigten die Einsetzung einer zivilen Übergangsregierung bis zur Abhaltung freier Wahlen an. Die EU und die USA äußerten sich besorgt über die Lage in dem lateinamerikanischen Land.

Der 1998 gewählte Chavez wurde in die größte Kaserne des Landes, Fort Tiuna, gebracht. Dort werde der Expräsident festgehalten, bis über die Einleitung von Ermittlungen entschieden sei, sagte General Efrain Vasquez Velasco. General Roman Fuemayor teilte dem Fernsehsender Globovision mit, Chavez habe um die Erlaubnis gebeten, nach Kuba auszureisen. Dies sei jedoch abgelehnt worden. "Er muss sich seinem Land gegenüber verantworten", sagte der General.

Chavez' Tochter Maria Gabriela erklärte in einem Interview mit dem staatlichen kubanischen Fernsehen, ihr Vater sei nicht zurückgetreten, sondern sei Opfer eines Putsches gewesen. Ihr Vater habe sie telephonisch gebeten, einen Anwalt zu seiner Verteidigung aufzutreiben. Chavez galt als ein enger Freund von Kubas Staats.- und Parteichef Fidel Castro.

Mindestens 14 Menschen getötet

Auslöser der dramatischen Eskalation war eine Großkundgebung von 150.000 Menschen in Caracas. Polizisten und bewaffnete Anhänger des Präsidenten schossen auf die Demonstranten, die zum Präsidentenpalast ziehen wollten. Mindestens 14 Menschen wurden getötet und 250 verletzt. Dies sei bei aller Loyalität nicht mehr hinzunehmen gewesen, erklärte General Vasquez Velasco.

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Fedecamaras, Pedro Carmona, kündigte die Bildung einer Übergangsregierung an und befahl ein Ende des Generalstreiks. Mit diesem Ausstand protestierten Gewerkschaften und Unternehmerverbände gemeinsam gegen die Neubesetzung des Vorstands der staatlichen Ölgesellschaft. Der entlassene Vorstandschef von Petroleos de Venezuela, Guaicaipuro Lameda, rief die Bevölkerung nach dem Sturz von Chavez zur Ruhe auf. Chavez hatte nach seinem Amtsantritt 1999 nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche unter seine Kontrolle gebracht.

Mehrere tausend Gegner des Expräsidenten zogen noch in der Nacht mit Fahnen und Trillerpfeifen über die Hauptstraße von Caracas. Die Opposition kündigte eine große Siegesfeier ein. In den Straßen blieb es am Freitag zunächst aber ungewöhnlich ruhig. Viele Einwohner der Hauptstadt warteten die weitere Entwicklung ab, die sonst übervollen Linienbusse waren nur halb gefüllt.

EU appelliert an Streitkräfte

Die Europäische Union appellierte an die Streitkräfte Venezuelas, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Die US-Regierung hat Chavez die Verantwortung für die Krise zugeschrieben. Gleichzeitig kündigte der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, am Freitag in Washington an, die USA würden alle demokratischen Kräfte bei der Wiederherstellung "aller wesentlichen Elemente einer Demokratie" in Venezuela unterstützen.

Die internationalen Rohstoffbörsen reagierten mit einem deutlichen Rückgang der Ölpreise auf den Sturz von Chavez. In London wurde ein Barrel Nordsee-Öl der Sorte Brent mit 24,60 Dollar gehandelt - das waren 44 Cent weniger als am Vortag.(APA/AP/Reuters)