Brüssel/Prag/Straßburg - Der tschechische Ministerpräsient Milos Zeman und EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen haben sich am Donnerstag in Prag bemüht, einen Schlussstrich unter die jüngsten Polemiken über die Benes-Dekrete zu ziehen. In einer gemeinsamen Erklärung betonten beide Seiten nach Angaben der EU-Kommission, dass die umstrittenen Dekrete "nicht Teil der EU-Beitrittsverhandlungen sind" und keine Auswirkungen auf die Gespräche haben sollten. Die Dekrete zu Staatsangehörigkeit und Eigentum entfalteten keine Rechtswirkung mehr, weder von ihrer Form noch von ihrem Inhalt her. Während österreichische EU-Abgeordnete Verheugen kritisierten, plant das tschechische Parlament Zeitungsberichten zufolge, im April eine Erklärung gegen die Infragestellung Benes-Dekrete anzunehmen. Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte in Brüssel, die Erklärung bestätige die Sicht der EU-Kommission, dass die Erlässe nicht in die Beitrittsverhandlungen mit Prag gehörten. Weiter betont die Erklärung, dass der EU-Vertrag Mitgliedstaaten und EU-Institutionen anhalte, die Bewerberstaaten "nach ihrer Gegenwart und nicht nach ihrer Vergangenheit zu beurteilen". Sollten Teile der Rechtsordnung in den Kandidatenländern noch heute rechtliche Wirkung haben, kämen sie auf den Prüfstand der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht. Kommission will Restitutionsgesetze und Praxis überprüfen Unabhängig von den umstrittenen Benes-Dekreten, die zur Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem zweiten Weltkrieg geführt hatten, behalte sich die EU-Kommission vor, die Restitutionsgesetze und Praxis seit Beginn der neunziger Jahre auf mögliche Benachteiligungen von EU-Bürger zu durchleuchten. Eine Diskriminierung von EU-Bürgern ist nach dem EU-Vertrag verboten. Bei den Restitutionsgesetzen geht es um die Rückgabe von Eigentum, das unter dem Kommunismus enteignet wurde. Verheugen und Zeman warnten davor, "in Bitterkeit zurückzublicken und alte Schlachten neu auszutragen." Die "Dämonen des Nationalismus" dürften nicht erneut geweckt werden. Als "historischer und entscheidender Schritt" zur Wiederherstellung guter partnerschaftlicher Beziehungen gewürdigt wurde ausdrücklich die deutsch-tschechische Versöhnungserklärung von 1997. Stenzel und Raschhofer üben Kritik an Verheugen Dagegen stimmte die FPÖ-Abgeordnete im Europaparlament (EP), Daniela Raschhofer, in Straßburg der Kritik der ÖVP-Europaabgeordneten Ursula Stenzel zu, die von einem "Umfaller und Rückzieher Verheugens" hinsichtlich der Benes-Dekrete gesprochen hatte. Raschhofer unterstützte auch die Forderung nach einem Fonds für die Vertreibungs- und Enteignungsopfer. Es gehe den Sudetendeutschen nämlich vor allem um die Klarstellung, dass es sich bei Vertreibung, Enteignung und Ermordung um "nichts andres als ethnische Säuberungen" gehandelt habe, hieß es in einer Aussendung Raschhofers. FPÖ-Generalsekretär Karl Schweitzer warf Verheugen unterdessen in einer Aussendung der FPÖ in Wien vor, entweder keine Sachkenntnis zu haben oder die Unwahrheit zu sprechen, wenn er die Dekrete als "totes Unrecht" bezeichne. Stenzel, die Vorsitzende des gemischten parlamentarischen Ausschusses EU-Tschechien ist, bezeichnete am Donnerstag in einer Aussendung die Aussagen Verheugens, es gebe keinen Widerspruch zwischen der Rechtsordnung der EU und Tschechiens, als "schlicht falsch". SPÖ-Europaparlamentarier Hannes Swoboda rief hingegen in einer Aussendung der SPÖ seine österreichischen und deutschen Abgeordnetenkollegen auf, zunächst auf das Ergebnis des vom EP in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens zu den Benes-Dekreten zu warten statt "politische Spaltpilze zwischen uns und unsere Nachbarn zu schieben". Parlament soll Benes-Dekrete als Teil der Rechtsordnung bestätigen Unterdessen will das tschechische Abgeordnetenhaus auf seiner nächsten Session, die am 23. April beginnt, eine Erklärung annehmen, dass es die Benes-Dekrete als Bestandteil der Rechtsordnung des Landes betrachtet und keine Infragestellung dieser Dokumente, einschließlich der darauf basierenden gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse, zulassen werde. Ein dementsprechender von Außenminister Jan Kavan vorgelegter Entwurf wird derzeit innerhalb der Parlamentsparteien diskutiert, berichtet die tschechische Tageszeitung "Pravo" am Donnerstag. (APA)