Vorgestern schon frühmorgens und bis spät in die Nacht in ORF und in nördlicheren, angenehmeren TV-Sendern der Abschied von "Queen Mum". Er nahm vorerst kein Ende. Im ziemlich eisigen Frühling warteten die Briten lang und stoisch. Der Himmel über London war hell, wenige weiße rasche Wolken halfen dem langen Augenblick und den grellen Kommandos der königlichen Garde. Es war die letzte Spazierfahrt, die ihr geboten wurde und die sie auch diesmal wieder auf den Kopf stellte. Eigentlich ist sie 100 Jahre lang nur spazieren gefahren, was aber schon Hitler, der zu wenig spazieren fuhr, ärgerte. Er fand sie "eine furchtbare Frau", die er nicht einordnen konnte. Die letzte Reise hatte genau festgelegte Ziele: Westminster Hall, Windsor Castle. Für ihre fast ein Jahrhundert lang ausgeübte Haupttätigkeit, das Schütteln von Händen, brauchte sie keine höhere Qualifikation, außer die höchste und unglaubwürdigste: die zufällige Abstammung aus einem gar nicht so hohen Adel, der selbst ja schon die unglaubwürdigste Erfindung ist. Nicht von Queen Victoria, der "Mutter des Empire", sondern von der Großmutter und Urgroßmutter eines nicht mehr bestehenden Großreiches nahm man Abschied. Bilder wurden gezeigt: Die Queen Mum vor vielen Jahrzehnten, neben dem stillen Georg VII., der schon vor einem halben Jahrhundert den Lungenkrebs nicht überlebte, und der jungen Tochter Margret - oft in grellen Kleidern und leicht hektisch - auf dem Balkon des Buckingham Palace. Schon damals hatte Queen Mum jeden guten Rat in den Wind geschlagen. Möglich, dass sie neben Vater und Mutter endlich die Ruhe findet, der sie gewachsen ist. Sie hinterlässt dem Königreich neben vielen hässlichen Hüten viele Schulden, zugleich aber die Reitställe, deretwegen diese gemacht wurden. Vielleicht lässt sich aus dem Verkauf der Pferde noch Gewinn schlagen: Das Königshaus vertraute immer mehr den Pferden als Büchern. Deshalb gelten auf der Insel Pferde auch mehr als Dichter. Was gut ist, wenn man an Österreichs dichtende Politkommentatoren denkt. Außerdem hinterlässt Queen Mum ihrer Tochter Elisabeth noch drei Cordis, Hunde, die aussehen wie Würmer: Die Queen hat schon acht davon. Robert Musil lässt am Ende seines Romans Die Verwirrungen des Zöglings Törless den jungen Törless zum Abschied auf die Frage der Mutter "Was willst du, mein Kind?" erwidern: "Nichts, Mama, ich dachte nur eben etwas." Dass man während jeder mehr oder weniger glaubwürdigen Reise verschwenderisch wird und dass man - wie Alexander Kluge, vor kurzem auf Wien-Reise - das Denken definiert als "Innehalten", das könnte jeder Reise helfen, selbst der letzten Reise britischer Kings oder Queens, nach einem zu kurzen oder zu langen Leben, natürlichen oder stählernen Hüftgelenken und leicht überstandenem Verschlucken von Fischgräten. Das könnte auch einigen Reisenden helfen, die weniger Glück haben als die Queen Mum.
Die nächste "Unglaubwürdige Reise" wird am nächsten Freitag angetreten.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 4. 2002)