Wien - Der am Donnerstagabend in Innsbruck verstorbene 110jährige Mathematiker Leopold Vietoris hat sich in der internationalen Mathematikergemeinschaft vor allem als Pionier der Topologie, einem Teilgebiet der Mathematik, einen Namen gemacht. Er war mehr als 30 Jahre lang Universitätslehrer in Innsbruck und hat sich als begeisterter Skifahrer und Bergsteiger in der Tradition der vielfältig interessierten und gebildeten Gelehrten auch mit der Entwicklung von Skiern und der Beobachtung von Gletschern in der Tiroler Bergwelt beschäftigt. In der Steiermark geboren Vietoris wurde am 4. Juni 1891 in Radkersburg geboren. 1910 begann Vietoris sein Studium der Mathematik an der Technischen Universität (TU) Wien, das er - bedingt durch seine Einberufung zum Militär während des Ersten Weltkriegs - erst 1920 mit der Promotion abschließen konnte. Von 1920 bis 1927 arbeitete der Mathematiker als Assistent an der Technischen Universität Graz und der Uni Wien. 1927 wurde Vietoris außerordentlicher Professor an der Universität Innsbruck, wo er mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1961 verblieb. Seit 1973 war Vietoris als Träger des großen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst eines der 18 Mitglieder der Österreichischen Kurie für Wissenschaft. Pionier der Topologie Vietoris hat sich früh in seiner akademischen Laufbahn mit Fragen der damals jungen Topologie befaßt: Bereits seine Dissertation an der Universität Wien über "Stetige Mengen" von 1921 entwickelte eine Reihe von grundlegenden Definitionen, Begriffen und Sätzen, die heute zum Gemeingut dieser mathematischen Disziplin gehören. Eine Reihe von Begriffen und Methoden der Topologie trägt den Namen von Vietoris: Zum Beispiel die "Vietoris-Zyklen" oder den "Vietoris-Beglesschen Satz". Zum Handwerkszeug jedes modernen Topologen gehören die "Mayer-Vietoris-Sequenzen", deren Theorie der österreichische Mathematiker gemeinsam mit dem späteren Einstein-Assistenten und Lehrer am Institut für höhere mathematische Studien in Princeton, Walther Mayer, entwickelte. Neben der Topologie beschäftigte sich Vietoris auch mit anderen Gebieten der Mathematik: Er leistete wichtige Beiträge zur Theorie der Differentialgleichungen und der Wahrscheinlichkeitstheorie, in die Vietoris den "Eher"-Begriff einführte. Darüberhinaus war Vietoris auch im Bereich der Geodäsie tätig, wo er beispielsweise noch nach seiner Emeritierung über die Entzerrung von Luftbildern arbeitete. Vietoris war auch Bergsteiger und Skifahrer. Diese Liebe fand ihren Niederschlag auch in wissenschaftlichen Arbeiten wie "Der Schi im Licht der Festigkeitslehre" oder "Der Blockgletscher des äußeren Hochebenkars" und "Das Gehen nach Hangstellungen", mit denen Vietoris in der Tradition der vielfältig interessierten und gebildeten Gelehrten steht, die über ihr eigenstes Fachgebiet hinausblicken.(APA)