Mehr als drei Stunden saß Colin Powell bei Yassir Arafat in dessen ruiniertem Hauptquartier in Ramallah, aber von greifbaren Ergebnissen war ebenso wenig etwas zu sehen wie nach den Gesprächen des US-Außenministers mit der israelischen Führung. Den Samstagtermin mit Arafat hatten die Amerikaner gestrichen, weil der Palästinenserchef sich mit der Verurteilung des jüngsten Selbstmordanschlags in Jerusalem Zeit gelassen hatte. Dann zahlte Arafat aber doch den politischen Preis, der ihm dafür abverlangt wurde, dass er der Ansprechpartner der USA bleiben sollte: "Wir verurteilen scharf alle Angriffe auf Zivilisten beider Seiten, insbesondere den Angriff auf israelische Zivilisten in Jerusalem", hieß es in einer im palästinensischen Fernsehen verlesenen Erklärung, "wir verurteilen ebenfalls sehr scharf das Massaker der israelischen Besatzungstruppen an unseren Flüchtlingen in Jenin und an unserem Volk in Ramallah, Nablus und Tulkarem."

Konferenz-Ideen

Von schwer bewaffneten amerikanischen Sicherheitsleuten begleitet, war Powells langer Konvoi in den von Panzern umstellten Komplex gefahren, nur ein paar US-Journalisten wurden mitgenommen. Er habe ein "nützliches und konstruktives Gespräch" geführt, teilte Powell danach lakonisch mit. Sonntagabend sollte Powell abermals mit Israels Premier Ariel Sharon zusammentreffen, der bei der ersten Unterredung am Freitag unter anderem die Idee einer internationalen Konferenz aufgebracht hatte. Sie solle kein Instrument sein, um durch Mehrheitsbeschluss eine Lösung zu diktieren, sondern ein Forum, wo etwa der saudische Plan ebenso diskutiert werden könnte wie Israels politische Vorstellungen. Doch schon allein wegen Sharons Auflage, dass Arafat von der Konferenz natürlich ausgeschlossen wäre, wird Powell mit dem Vorschlag wenig anfangen können.

Sharon machte ein anderes Angebot zur Konfrontation um die Geburtskirche in Bethlehem: Die Belagerung würde beendet, wenn die rund 150 eingeschlossenen Palästinenser ihre Waffen niederlegen. Sie hätten dann die Wahl, entweder in Israel vor Gericht gestellt zu werden oder die Region für immer zu verlassen. Ähnlich liegt das Problem um Arafats belagerte Kanzlei. Die Israelis sind überzeugt, dass sich dort die Mörder des israelischen Tourismusministers und Fuad Shubaki, der mutmaßliche Organisator des abgefangenen Waffenschmuggels, versteckt halten, und wollen auf deren Auslieferung nicht verzichten.


Sperrgebiete offen

Israels Regierung teilte unterdessen mit, dass die meisten der militärischen Sperrgebiete geöffnet würden. Nach wie vor abgeriegelt sollten aber die heikelsten Zonen bleiben, nämlich Arafats Hauptquartier, die Geburtskirche und das Flüchtlingslager von Jenin. In diesem kleinen, dicht verbauten Areal war mehr als eine Woche lang erbittert gekämpft worden.

Viele Gebäude sind zerstört, in einigen Häusern lagen Leichen von Menschen, die schon vor Tagen getötet worden waren, unter den Trümmern könnten noch mehr Tote liegen. Von den ursprünglich rund 13.000 Einwohnern sind offenbar nur noch einige Hundert in dem Lager verblieben, viele der Männer wurden von den Israelis festgenommen und verhört. Palästinenser berichten von Gräueltaten und sprechen immer wieder von einem "Massaker" mit Hunderten Toten. Medien und Hilfsorganisationen wurden israelischen Sprechern zufolge am Wochenende noch immer nicht in das Lager gelassen, weil an Türen, in Räumen und sogar an Leichen Bombenfallen angebracht seien.

Die Palästinenser glauben, dass Israel Leichen beseitigen will, um "Kriegsverbrechen" zu vertuschen, die Israelis hingegen behaupten, dass die Palästinenser die Begräbnisse verhindern wollen, um ein Massaker "konstruieren" zu können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 15.4.2002)