Standard: EU-Währungskommissar Pedro Solbes hat hier in Oviedo auch Steuersenkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft angeregt. Für 2003 werden Sie das in Österreich wohl nicht schaffen? Grasser: Wir wollen alles tun, damit eine erste Steuerentlastung bereits im Jahr 2003 in Kraft treten kann. Das ist eben auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Denn wie kann man über unser mittelfristiges Projekt - die Senkung der Abgabenquote bis 2010 auf 40 Prozent - reden, wenn man innerhalb einer Legislaturperiode nicht einmal einen ersten Schritt zustande bringt? S TANDARD: Die EU-Kommission möchte Österreichs Regierung bei der Steuersenkung ein bisschen zu ihrem Glück zwingen: Verfahren gegen die Umsatzsteuerregelung bei Leasingautos laufen. Schafft sich Österreich hier einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Deutschland? Grasser: Absolut. Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil für uns. Wir sind aber bestrebt, diese Wettbewerbsverzerrung, wie sie jetzt in Europa vorhanden ist, in der Mehrwertsteuerrichtlinie zu bereinigen. Ich habe mich in einem Brief an alle meine Kollegen gewandt, um hier zu ersuchen, dass wir zu einer Lösung kommen. S TANDARD: Aber vorher wird der Europäische Gerichtshof aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage entscheiden. Grasser: Das ist richtig. Aber klar ist, dass wir nicht akzeptieren werden, wenn manche Leasingfirmen glauben, sie könnten hier Umwegmodelle zu einer Vorabausnutzung einer möglichen zukünftigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs treffen. Da werden wir den Riegel vorschieben. S TANDARD: Bei Steuerwettbewerb denkt man sofort an die Schweiz, die sich im Konflikt um die Zinsbesteuerung gegen ein System des Informationsaustauschs sperrt. Unter den EU-Ministern war die Rede davon, einen geharnischten Brief nach Bern zu schicken. Wie sehen Sie das? Grasser: Ich habe da zwei Herzen in meiner Brust. Zum Ersten verstehe ich natürlich die Union, die hier den Druck auf die Schweiz ausübt, ein System des Informationsaustauschs einzuführen. Auf der anderen Seite haben Österreich, Luxemburg und die Schweiz in gewisser Weise eine gemeinsame Position - nämlich für das Bankkundengeheimnis einzutreten. S TANDARD: Wie stehen Sie mittlerweile eigentlich zu den Finanzierungsplänen für die EU-Erweiterung? Grasser: Ich will erst einmal betonen: Ich bin natürlich für die Erweiterung der Europäischen Union. Jede europäische Lösung ist besser als keine. Im operativen Geschäft ist es aber für einen Finanzminister eine Selbstverständlichkeit zu sagen: Ich will meine Beiträge nach Brüssel minimieren, und ich will die Rückflüsse optimieren. Das heißt, ich möchte so wenig wie möglich Nettozahler sein. Ich habe also sehr deutlich formuliert, dass ich mit dem Vorschlag der EU-Kommission für die Finanzierung der Erweiterung nicht einverstanden bin. S TANDARD: Fordern Sie also immer noch die Reform der Agrarpolitik vor der Erweiterung oder relativieren Sie das? Grasser: Ich habe nichts relativiert. Aber es gibt noch keine abgestimmte Position innerhalb der Koalition. Ich respektiere, dass Willi Molterer hier aus seiner agrarpolitischen Sicht anders denkt. Aber meine Sorge ist: Wir geben heute in Europa etwa zwei Drittel des gemeinsamen Budgets für die Landwirtschaft aus, wir haben eine Landwirtschaftspolitik, die eher der Versteinerung von Strukturen das Wort redet. S TANDARD: Ist das auch eine Kritik an Landwirtschaftskommissar Fischler? Grasser: Das ist natürlich eine Kritik am Landwirtschaftskommissar. Man muss schon sehen, wenn ein Österreicher in Brüssel tätig ist, dann sollte er doch versuchen, aus seiner österreichischen Erfahrung für eine Kleinteiligkeit und möglichst hohe Qualität des Landwirtschaftssystems einzutreten. Stattdessen haben wir in Europa eine industrielle Agrarpolitik. S TANDARD: Möchten Sie angesichts dessen vielleicht selbst 2004 EU-Kommissar werden? Grasser: Das ist eine sehr charmante Frage. Aber wir haben vorher noch Wahlen, und die gilt es erst einmal zu gewinnen. Und dann geht es in erster Linie darum, ob ich wieder die Verantwortung für das Finanzministerium übernehmen soll. (DER STANDARD, Printausgabe 15.4.2002)