Das kleine, geruhsame, nur an den Samstagen umtriebige Dorf hat wenig mehr als 1500 Einwohner. Die teilen sich eine Kirche, ein Versammlungslokal der Kinderfreunde, ein Gemeindeamt, keinen Gendarmerieposten, aber immerhin noch ein Postamt und vier Wirtshäuser. Das eine hat eine vor Zeiten wohl aufregend modern gewesene "automatische Kegelbahn", das zweite eine Art Bar mit italienischem Namen, in der es sich über die gängigen Sperrstunden hinaus sitzen lässt, das dritte ist das rote und das vierte das schwarze. So, oder so ähnlich, ist es überall im Burgenland. Und wer das landespolitische Leben kennen lernen will, der sollte dort einkehren: Hier passiert, was das Land im Innersten prägt.

Das Burgenland ist nicht nur ein Land der Dörfer - die Hauptstadt Eisenstadt kommt mit den Eingemeindungen knapp über 10.000 Einwohner -, sondern vor allem ein von der Kommunalpolitik geprägtes Land. Die wegen des Bankenskandals vorgezogenen Landtagswahlen haben das im Dezember 2000 verfestigt. Karl Stix und Gerhard Jellasitz, das alte rot-schwarze Führungsduo des Burgenlandes, sind in der Parteiorganisation aufgewachsen. Die jetzigen Spitzenleute haben die Lehrzeit allesamt in ihren Gemeinden absolviert: Landeshauptmann Hans Niessl (SP) war Bürgermeister des kokett "Metropole des Seewinkels" genannten Frauenkirchen, sein VP-Stellvertreter Franz Steindl in Purbach am See, FP-Chef Stefan Salzl ist es immer noch in Halbturn, und wären die Grünen insgesamt stärker, Grete Krojer, die mit einer Bürgerinitiative gegen eine Müllverbrennungsanlage groß geworden ist, hätte wohl gute Chancen aufs Bürgermeisteramt in Wulkaprodersdorf/Vulkaprodrstof.

Verkehrsplanung

Da und dort hat die Kampagne zur Gemeinderatswahl im Herbst schon begonnen, das mag die Aufmerksamkeit aufs Kommunale fokussieren. Aber das erklärt zum Beispiel noch nicht die bemerkenswerte Vorgangsweise der Landesregierung in der Frage des hochrangigen Ausbaus der B50 zwischen Eisenstadt und Neusiedl. Altlandeshauptmann Stix hatte stets die überregionale Bedeutung einer Anbindung der Hauptstadt an die Ostautobahn betont, im vergangenen Herbst hat eine Volksbefragung ergeben, dass in einem Ort, Schützen, eine Umfahrung gebaut wird, sonst aber straßenmäßig alles beim Alten bleibt. Wer den neuen Landeshauptmann fragt, was das für den Wirtschaftsstandort Eisenstadt heißt, den weist er auf die geringe Beteiligung in der Hauptstadt hin, woraus ersichtlich sei, "dass diese Frage keine so große Bedeutung hat".

Der Ausbau der B50 ist nur ein Teil jenes Themas, das die burgenländische Politik, wenn schon nicht beschäftigt, so doch beschäftigen müsste: die EU-Erweiterung. Im Prinzip herrscht darüber Konsens. Selbst die FPÖ sieht der Erweiterung nun gelassen entgegen. "Die siebenjährige Übergangsfrist", sagt Geschäftsführer Norbert Hofer, "mildert den Pendlerdruck." Hans Niessl - "Ich weiß, viele halten mich in dieser Frage für einen Zauderer" - verweist, spricht er über die EU-Erweiterung, stets auf Rudolf Suchy, den Bürgermeister von Zurndorf, der vor Jahren schon das "Grenzkommunalforum", ein Zusammenschluss burgenländischer, slowakischer und ungarischer Gemeinden, ins Leben gerufen hat. Hier, sagt Niessl, geschehe, was das Allerwichtigste sei: Kontaktpflege auf der "People-to-People-Ebene".

ÖVP und Grüne wollen dem nicht widersprechen, sie agieren aber deutlich offensiver. Franz Steindl hat seinen Landtagsklub in den Ungarischkurs geschickt, sein Europaforum pflegt grenzüberschreitend Kontakte, auf denen "unser historisch gewachsener, pannonischer Lebensraum neu zu gestalten ist". Hauptakteur dabei wäre der Landtag, in dem, nach dem Wort von Hans Niessl, seit dem Einzug der Grünen das "freie Spiel der Kräfte" herrscht. Die freie parlamentarische Mehrheitsfindung, die, meint Grete Krojer, "den Grünen ganz tolle Möglichkeiten bietet", erschöpfe sich freilich, so Franz Steindl, "in der Fabrizierung zahnloser Entschließungsanträge an die Bundesregierung durch SPÖ und Grüne" und leide grundsätzlich, kritisiert Norbert Hofer, am Klubzwang und der Proporzverfassung.

Integrationskomik

In dem kleinen Dorf mit den vier Wirtshäusern ist die parlamentarische Debatte freilich nur ab und zu ein Gesprächsthema. Weitaus wichtiger, sowohl im roten als auch im schwarzen Wirtshaus, ist die Sanierung des Kanals, die Neugestaltung des Hauptplatzes, das neue Hochwasser-Rückhaltebecken. Themen, die sich nur mäßig zum Ideologisieren eignen. Das Ideologische kommt von außerhalb.

Zwischen dem roten Wirtshaus und dem schwarzen steht eine Bank. Auf der sitzt zuweilen eine alte Frau unter ihrem schwarzen Kopftuch. Irgendwer hat ihr unlängst erzählt, dass ab nun alle, die neu ins Dorf ziehen, Deutsch lernen müssen. Sogar, wenn sie aus Kroatien kommen. Da hat die Moam nur lächelnd den Kopf geschüttelt: "Nau, laku noc: Was es nicht alles gibt." (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 15.4.2002)