OAin Dr.in Martina Schönauer-Cejpek

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Schönauer-Cejpek: 90 Prozent der von Essstörungen Betroffenen sind Frauen und 10 Prozent Männer, wobei der Anteil der Männer sicher steigen wird, da sich das Schönheitsideal von Männern ja auch ändert.

Frauen werden in unserer Gesellschaft doch noch mehr nach der Schönheit und dem Körper beurteilt werden, als nachdem was sie können. Sicher ist unser Schönheitsideal mitverantwortlich für dieses Krankheitsbild, auch der Druck gleichzeitig beruflich erfolgreich zu sein, gut auszuschauen und alles zu managen.

Nicht alle kriegen trotz dieser Drucksituation eine Essstörung. Es kommt da noch mehr dazu. Einerseits sicher eine genetische Disposition, auch die lebensgeschichtliche Erfahrung. Gerade bei Frauen mit Bulimie sind Missbraucherlebnisse verschiedenster Art häufig, die oft auch erst im Laufe der Therapie bewusst werden.

dieStandard.at: Wie schaut es mit der Familiensituation aus?

Schönauer-Cejpek: Sicher kommt die familiäre Situation dazu, hier sind aber sehr unterschiedliche Familienstrukturen zu finden. Man kann nicht sagen, dass eine gewisse Familienstruktur zu einer Essstörung führt. Es sind meist aber schon Familien, bei denen scheinbar alles wunderbar funktioniert mit eher starren Strukturen, wo wenig nach außen geht.

Ich sprach vorher von "genetisch" weil oft in der Therapie depressive Mütter oder Väter mit Suchtproblematiken auftauchen.

Wichtig ist uns, der Frau Doktor Steinbrenner und mir, zu betonen, dass die Essstörung an und für sich ein Lösungsversuch ist. Und der gemeinsame Nenner, der bei beiden Krankheitsbildern zu sehen ist, ist eine tiefe Selbstwertproblematik. Wir haben hauptsächlich Frauen mit Bulimia Nervosa und Anorexia Nervosa.

dieStandard.at: Bulimie und Magersucht sind ja mittlerweile relativ bekannt und in der öffentlichen Diskussion. Wie schaut es da mit Fettsucht/Fresssucht aus?

Schönauer-Cejpek: Das Problem ist, dass Fresssucht nicht im amerikanischen Diagnoseschema, dem DSM4, als psychiatrische Erkrankung zu finden ist, obwohl bei extrem fettleibigen Menschen sehr wohl auch eine psychiatrische Begleitdiagnose da ist. Dadurch kommen zu uns eigentlich nur Frauen, die anorektisch, bulimisch oder Binge-Eater sind.

dieStandard.at: Was würden Sie den Frauen zur Selbstanalyse raten? Ein gewisses Über- oder Untergewicht liegt ja im Normalbereich. Wie sollte sich eine Frau selber anschauen, um zu wissen, dass sie Hilfe braucht?

Schönauer-Cejpek: Bei allen psychischen Erkrankungen oder Symptomen ist ein eigener Leidensdruck vorhanden. Wenn man merkt, man kommt damit selber nicht zurecht.

Die meisten werden dann zuerst mit einer Freundin reden, danach sind schon die Hausärzte oder Zahnärzte die ersten Ansprechpartner. Gerade bei Bulimie sind die Zahnschäden sehr deutlich. Ebenso Gynäkologinnen, da auch bei bulimischen Frauen die Regel sehr häufig ausbleibt. Auch wenn der Zyklus nur manchmal aussetzt, handelt es sich schon um eine Form der Amenorrhoe mit großen Folgekrankheiten, wie Knochenschäden oder Osteoporose.

dieStandard.at: Ist die Schwelle, zum/r Hausarzt/Hausärztin zu gehen und zu sagen „Ich hab ein paar Kilo zu viel oder zu wenig“ oft nicht sehr groß?

Schönauer-Cejpek: Es gibt in Graz drei Beratungsstellen, die sich speziell mit Essstörungen beschäftigen. Das sind das b.a.s., das Frauengesundheitszentrum und die Drogenberatungsstelle des Landes Steiermark hat eine eigene Abteilung für Essstörungen. Und es gibt eine Hotline (+43 810 810400), die schon vor drei Jahren vom Landesrat Dörflinger initiiert worden ist. Bei diesen drei Stellen können sich Frauen anonym und kostenlos beraten lassen, das ist vielleicht am niederschwelligsten. Wir sind dieser Hotline nachgeschaltet.

Wenn es medizinische, psychiatrische oder medikamentöse Fragen gibt, werden die Frauen zu uns weitergeleitet. Wir haben aber auch eine Ambulanz für Essstörungen, die jeden Montag von 12:30 bis 15:30 Uhr am LKH Graz, an der Universitätsklinik für Psychiatrie in der Ambulanz.

Das Interview führte Elke Murlasits.