Kosovo
Belgrad: Debatte um Auslieferungen
Serbische Bevölkerung steht UNO-Tribunal ablehnend gegenüber - Djindjic um Prozesse vor heimischen Gerichten bemüht
Belgrad - Nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes, mit dem das
jugoslawische Parlament am letzten Donnerstag die Zusammenarbeit mit
dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag geregelt hatte, wird nun
in Belgrad die Einleitung von Auslieferungsverfahren erwartet. Der
serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic hatte wiederholt
angekündet, dass die ersten Auslieferungen in etwa zwei Wochen
erfolgen dürften. Vertreter des Haager Tribunals hatten andererseits bereits
erklärt, dass sie das Gesetz, das sich nur auf die schon erhobenen
Anklagen beziehen soll, für äußerst problematisch halten. Sie hatten
neue Anklagen in Aussicht gestellt, was in Belgrad neue Probleme
verursachen dürfte.
Massive Proteste gegen UNO-Tribunal
Anhänger der früheren Regimeparteien, allen voran die Sozialisten
von Slobodan Milosevic und die Ultranationalisten von Vojislav
Seselj, waren Ende letzter Woche bemüht gewesen, den
Selbstmordversuch des früheren serbischen Innenministers Vlajko
Stojiljkovic zu massiven Protesten gegen das UNO-Tribunal zu nutzen.
Meinungsumfragen haben gezeigt, dass etwa 78 Prozent der Bürger
Serbiens kein Vertrauen in das UNO-Tribunal haben. 46 Prozent würden
sogar auch unter Sanktionsgefahr jede Zusammenarbeit mit dem Tribunal
zurückweisen. Der "Verdienst" dafür geht nicht zuletzt an den
Milosevic-Prozess, der durch seinen bisherigen Verlauf in der
serbischen öffentlichkeit die abneigende Haltung zum Tribunal nur
noch verstärkte.
Der serbische Ministerpräsident, der bei der Auslieferung von
Milosevic die Hauptlast des öffentlichen Unmutes auf sich genommen
hatte, liess indes unzweideutig wissen, dass er sich in der Zukunft
verstärkt für die Abtretung einzelner Kriegsverbrecherprozesse an
heimische Gerichte einzusetzen gedenkt. Um Unterstützung hatte
Djindjic neulich auch den US-Sonderbeauftragten für Kriegsverbrechen
auf dem Balkan, Richard Prosper, gebeten. Seine Bemühungen scheinen
aber vorerst noch recht geringe Erfolgsaussichten zu haben.
Vor Gericht in der südserbischen Stadt Prokuplje war letzte Woche
zwar die erste Anklage wegen Kriegsverbrechen in Serbien seit vielen
Jahren erhoben worden. Sie war gegen zwei Serben eingebracht worden,
die sich im Frühjahr 1999 der Ermordung von 19 Kosovo-Albanern in
Podujevo schuldig gemacht hatten. Das serbische Innenministerium
hatte vor knapp einem Jahr die Existenz von mehreren Massengräbern
bekannt gegeben, in welchen die Leichen von etwa 400 Kosovo-Albanern
vermutet worden waren. Mehrere Gräber waren bei Polizeiübungsplätzen
bei Belgrad und Kladovo (Ostserbien) entdeckt worden.
Eine Frage der Beweise
Die Polizei habe die Leichen ausgegraben, sei aber nicht in der
Lage, die Mörder zu entlarven, stellte Republikstaatsanwalt Sead
Spahovic bei einem Treffen in Belgrad resigniert fest. Er hatte als
eines der größten Probleme bei der Bemühung, Kriegsverbrecherprozesse
auch vor heimischen Gerichten zu führen, die Tatsache bezeichnet,
dass sich unter den Angeklagten auch Polizei- und Militärfunktionäre
befinden. "Ist es denn überhaupt real zu erwarten, dass jemand, der
der Kriegsverbrechen angeklagt wird, die ihn belastende Beweise
aufbringen wird ?" fragte sich Spahovic. Solange die Beweise nicht
der Staatsanwaltschaft zugestellt sind, kann sie nämlich kaum tätig
werden.
In der Öffentlichkeit wird gerade das anhaltende Schweigen des
Innenministeriums hinsichtlich der Massengräber als Kronenbeweis
dafür genommen, dass die alten Polizei- und Militärstrukturen jede
Konfrontation mit der Vergangenheit, aber auch einen jeden
Kriegsverbrecherprozess weiterhin äußerst wirksam verhindern können.(APA/dpa)