Luxemburg/Prag/Wien - Außenministerin Benita Ferrero-Waldner bestand am Montag beim EU-Außenministertreffen in Luxemburg darauf, dass die Frage der Benes-Dekrete vor einem EU-Beitritt Tschechiens thematisiert werden müsse. Es sei wichtig, heikle Fragen jetzt anzusprechen, um nicht am Ende des Beitrittsprozesses mit einem großen Paket offener Fragen konfrontiert zu sein.

Erweiterungskommissar Günter Verheugen ersuchte Österreich am Montag um "größte Sensibilität". Die Tschechische Republik, so berichtete er, habe ihm zugesagt, die derzeitige Rechtspraxis zu überprüfen. "Österreich ist auf gutem Weg", meinte er kryptisch. Noch am Sonntagabend hatte Verheugen in einem Interview mit dem staatlichen tschechischen Fernsehen betont, dass die Benes-Dekrete für die Frage, ob Tschechien die Bedingungen für einen EU-Beitritt erfülle, keine Rolle spielen würden. Österreich könne den EU-Beitritt Tschechiens zwar theoretisch verhindern. Allerdings glaubt Verheugen nicht, dass Wien dies wirklich tun würde, weil es von einem tschechischen Beitritt selbst am meisten profitieren würde.

Für die Tschechische Republik werde es keinen Sonderbeitrittsvertrag geben, sondern einen gemeinsamen Vertrag für den Beitritt aller Kandidatenländer, die im Jahre 2004 beitreten würden. Es werde also nicht möglich sein, zu sagen, die Tschechen wolle man nicht, die Slowenen, Ungarn und die Slowaken hingegen schon. Verheugen: "Entweder alle ja - oder alle nein."

Der EU-Kommissar wies weiters darauf hin, dass die EU-Erweiterung im Interes- se Österreichs selbst liege. "Wenn es in Europa ein Land gibt, das davon in jeder Hinsicht profitieren wird, dann ist es wirklich Österreich. Die profitieren schon jetzt davon", betonte Verheugen. "Die ÖVP-und SPÖ-Vertreter wiederholten bei jeder Gelegenheit, dass sie an ein mögliches Veto nicht einmal denken. Das ist jetzt nur eine Vorstellung von Herrn Haider und seiner FPÖ." Wenn Österreich die EU-Erweiterung verhindern wollte, würde es vor allem sich selbst beschädigen.

Die FPÖ will Verheugen als Person "nicht mehr so ernst nehmen", wie Klubchef Peter Westenthaler meinte. Das wort "Veto" wollte er allerdings nicht in den Mund nehmen, obwohl für die FPÖ ein Nein zum Beitritt Tschechiens als letzte Möglichkeit bestehen bleibe. Fürs Erste gab Westenthaler gemeinsam mit seinem VP-Kollegen Andreas Khol lieber "einen guten Rat": Die Regierung in Prag möge für die Vertriebenen einen Entschädigungsfonds auf freiwilliger Basis einrichten.

Der tschechische Parlamentspräsident Vaclv Klaus lehnt es ab, den Sudetendeutschen eine "symbolische Entschädigung" zu leisten. Mit solchen Aufforderungen würden neue Ansprüche auf sein Land geltend gemacht. Sie seien Bemühungen um eine Revision der Nachkriegsordnung in Europa. (ina, kob, völ/DER STANDARD, Print- Ausgabe, 16. 4.2002)