Yassir Arafat ist als Spitze der palästinensischen Politpyramide tabu, doch seit mehr als einem Jahr war in Israel immer wieder diskutiert worden, ob es richtig wäre, jemanden vom Rang Marwan Bargutis zu "liquidieren". Jetzt ist der Generalsekretär der Fatah-Bewegung im Westjordanland den Israelis ins Netz gegangen, ohne dass ein Schuss abgefeuert wurde.

In die Befriedigung über den Fang, aus dem man Informationen über den Hintergrund des Terrors herauszuquetschen hofft, mischt sich auch Unbehagen - denn wer weiß, was die Palästinenser in ihrem Zorn nun ausklügeln, um die Demütigung ihres Volkshelden zu rächen.

Beim Beginn der israelischen Militärkampagne vor bald drei Wochen war Barguti, der als Organisator des Palästinenseraufstands gilt, untergetaucht, die letzten eineinhalb Jahre war er auf der dünnen Linie gewandelt, die den Politiker vom Guerilla- oder Terrorführer trennt.

Der im Juni 1960 geborene Barguti hat einige Phasen durchlaufen. Als junger Mann schloss er sich "wegen des bewaffneten Kampfes" der Fatah an, die damals in Israel verboten war. Mit 18 wurde er verhaftet und saß sechs Jahre in israelischen Gefängnissen - dort erlernte er Hebräisch, in dem er bereitwillig israelischen Medien Interviews gibt.

Zu Beginn der ersten Intifada 1987 wurde er nach Jordanien abgeschoben, doch als Arafat 1994 als Autonomiechef in Gaza und Jericho einzog, war Barguti wieder da. Er knüpfte Kontakte zu Israelis, hielt Vorträge, in denen er Koexistenz predigte, und wollte eine demokratische Kultur für den künftigen Staat Palästina entwickeln. 1996 wurde er ins palästinensische Parlament gewählt.

Doch mit dem Beginn der neuen Intifada schwenkte er wieder auf den militanten Kurs zurück und war plötzlich der allgegenwärtige Volkstribun, der auf der Straße zum Freiheitskampf und zum Widerstand aufrief. Bei all den schmerzhaften Verlusten erreicht der Aufstand laut Barguti seine Ziele: Er demonstriere, dass die in Camp David gemachten Angebote für die Palästinenser inakzeptabel waren, und er beweise den Israelis, dass sie sich nie sicher fühlen könnten, solange die "Besetzung" andauert. Waffenstillstand gebe es keinen.

Mit Bargutis Parolen hätten die Israelis leben können, doch unter seiner Führung wurden die "Tansim", die bewaffneten Zellen der Fatah, zu Todesschwadronen. Von Anschlägen innerhalb Israels distanziert sich Barguti offiziell, doch mittlerweile operiert die Fatah längst Schulter an Schulter mit der Hamas und dem Islamischen Djihad. Und aus den Tansim sind die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden hervorgegangen, die immer wieder junge Männer und sogar Frauen losschicken, die sich in israelischen Städten in die Luft sprengen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 17. 4.2002)