Dass dieser ominöse Artikel 18, wie beinahe alle italienischen Arbeitsrechtler übereinstimmen, bloß ein "Nebenschauplatz" der Arbeitsrechtsreform ist, spielt in der Logik dieses Generalstreiks keine große Rolle. Vor allem deswegen, weil wohl den meisten Beteiligten klar ist, dass es an diesem Dienstag in Wirklichkeit nicht um den Kündigungsschutz, sondern schlicht um Glaubwürdigkeit gegangen ist. Um die Glaubwürdigkeit der Regierung Berlusconi und um jene der Gewerkschaften.
An die elf Millionen Menschen sind in Italien gewerkschaftlich organisiert. Dieses im europäischen Vergleich hohe Machtpotenzial stünde auf dem Spiel, schössen die Spitzen der Gewerkschaften nicht mit großer Kanone auf den Artikel-18-Spatz. Auch eine rechte Regierung soll begreifen, dass gegen die "sindacati" auch im Italien des 21. Jahrhunderts nichts läuft. Andererseits ist es dem ambitionierten Boss der linksgerichteten CGIL, Sergio Cofferati, damit bestens gelungen, zumindest seine Gewerkschaft (und sich) als glaubwürdige Alternative zu der zerstrittenen Opposition zu positionieren.
Berlusconi hingegen muss vor allem seinen Unterstützern aus der Wirtschaft zeigen, dass er imstande ist, Reformen auch gegen erbitterten Widerstand umzusetzen. Der Premier hat die Wahlen vor elf Monaten ja nicht allein wegen seiner Medienmacht gewonnen. Sein Triumph von damals wäre ohne die wohlwollende Unterstützung der Unternehmerverbände nicht möglich gewesen. Auf der Tagung der Confindustria in Parma vom vergangenen Wochenende regte sich bereits laute Kritik am Unternehmer-Premier.
Auch sich selbst mag der Cavaliere noch einen Beweis schuldig sein. Sein erstes Kabinett scheiterte drei Wochen nach dem 12. Dezember 1994. Damals marschierten eine Million Italiener in Rom gegen die Pensionsreformpläne Berlusconis auf.
Laut Meinungsforschungsinstitut SWG befürwortet jeder zweite Italiener den aktuellen Protest. Renato Mannheimer, der renommierteste Meinungsforscher Italiens und Hausdemoskop des Corriere della Sera, sieht die Umfragewerte des Mitte-rechts-Bündnisses erstmals seit den Wahlen vergangenen Mai fallen. Berlusconi könnte am Ende so dastehen, wie er es seiner linken Vorgängerregierung in ihren letzten Jahren immer wieder vorgeworfen hat: mit einer Mehrheit an Mandaten, aber ohne mehrheitliche Zustimmung beim italienischen Wahlvolk. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 17. 4.2002)