Zeit
Schwedens Beinahe-Einstieg in die chemische Kriegsführung
Friedensforscher spricht von "Geheimplänen" in den 60ern, eine Nervengasfabrik zu bauen
Stockholm - In Schweden existierten während des Kalten
Krieges angeblich Geheimpläne, eine komplette Nervengasfabrik zu bauen. Das
behauptet jedenfalls der schwedische Friedensforscher Wilhelm Agrell in einem
neuen Buch, das laut Internet-Ausgabe der Tageszeitung "Sydsvenska
Dagbladet" vom Mittwoch nächste Woche erscheint. Agrell stützt sich
in seinem Buch auf ehemalige Geheimdokumente, wonach Schweden bis in
die sechziger Jahre weit fortgeschrittene Pläne hatte, eigene
chemische Waffen herzustellen. Aus seinen Recherchen zieht Agrell
Parallelen des damaligen Schweden zum heutigen Irak.Chemische Kriegsführung
Die Pläne beinhalteten laut Agrell auch eine umfassende Produktion
von chemischer Spezialmunition und die Entwicklung spezieller
Trägersysteme für chemische Waffen. Insbesondere die schwedischen
Kampfflugzeuge "Viggen" (Nachfolgemodell des "Draken", Anm.) wurden
laut dem Artikel als geeignet erachtet, im Ernstfall sowjetische
Kampfverbände mit Nervengas zu bombardieren.
Bereits Ende der dreißiger Jahre soll sich laut Agrells Buch die
schwedische Militärführung in den USA und Deutschland um die
Möglichkeit des Ankaufs eine Fabrik zur Herstellung von Senfgas
umgehört haben. Diese Pläne seien 1940 in die Mottenkiste gewandert,
als sich Schweden von deutschen Truppen umringt sah.
1949 sei eine
neue Kampagne für eigene Chemiewaffen gestartet worden. Der Schwerpunkt verlagerte sich nun allmählich auf das Giftgas Sarin. Sogar die Produktion LSD versprühender Granaten soll erwogen sein (das Halluzinogen war dazu vorgesehen, die Kampfkraft des potenziellen Gegners zu vermindern). Erst die Rede
des damaligen schwedischen Außenministers Torsten Nilsson 1969 vor
den Vereinten Nationen, in der er verkündete, dass Schweden sich an
das Chemiewaffen-Verbot der Genfer Konvention zu halten gedenke, habe
das Ende für die schwedischen Chemiewaffen-Ambitionen bedeutet,
schreibt Friedensforscher Agrell.
Schurkenstaat Schweden?
In dem Umstand, dass laut seinen Recherchen Schweden erwogen
hatte, mittels Strohmännern Rohchemikalien zur späteren
Waffenproduktion von Firmen wie BASF oder Union Carbide zu kaufen,
sieht Agrell eine Parallele des damaligen Schweden zum heutigen Irak,
der angeblich über ein ansehnliches Chemiewaffenarsenal verfügt, das
aus "scheinbar unverdächtigen" Chemikalieneinkäufen im Westen stammen
soll.(APA)